6. Gesundheitswesen

6.1 Aktueller Zustand in Deutschland

Das Gesundheitswesen ist in mehrerer Hinsicht schwierig. Zum einen ist es ein sehr komplexes Gebilde. Eine einfache Lösung wie „wir schaffen es ab“ oder „jeder bekommt gleich viel Geld“ werden wir hier nicht finden. Außerdem geht es hier um sehr viel Geld, und wir werden keine Lösung finden, die allen alles bietet. Was uns dann sofort zum Problem der Ethik bringt: Wann verweigert man Leistungen? Wie viel ist ein menschliches Leben wert?

Nichtsdestotrotz ist das Gesundheitswesen ein Gebiet, über das wir sprechen sollten. Denn gerade aufgrund der ethischen Probleme ist es enorm wichtig. Wenn Menschen sterben und leiden, weil das System schlecht gebaut ist, weil Geld und Zeit ineffizient eingesetzt werden - machen sich dann nicht alle Verantwortlichen mitschuldig an diesem Leid? Weil sie nicht versucht haben, das System besser aufzubauen?

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem Gesundheitswesen nur im Rahmen der Heilung. Die Pflege, welche ja in Deutschland auch separat über die Pflegeversicherung finanziert wird, möchte ich hier aussparen. Das Thema dieses Kapitels ist auch so mehr als umfangreich genug.

Ich sehe im Gesundheitssystem Deutschlands zwei wesentliche, offensichtliche Probleme:

1. Die Ärzte und Krankenpfleger sind ständig überarbeitet und haben zu wenig Zeit für die Patienten. Dies führt zu vielfältigen Problemen: Die Patienten fühlen sich nicht gut behandelt und nicht verstanden. Den Ärzten und Pflegern droht Burnout*. Das ganze System läuft ohne Reserven ständig am Limit.

2. Es gibt kein vernünftiges Vorsorgesystem. Theoretisch gibt es eine Liste von Untersuchungen, für welche die Krankenkassen zahlen[28]. Aber mal ehrlich: Falls man nicht selbst im Gesundheitswesen arbeitet, wer hat denn da den Überblick und nimmt die alle wahr? Die meisten von uns gehen ja doch erst dann zum Arzt, wenn es weh tut.

Das hier ist die Liste der bezahlten Vorsorgeuntersuchungen: Gebärmutterhalskrebs, Brustuntersuchung, Prostata&Lymphknoten, Ganzkörperuntersuchung der Haut, Dickdarm&Rektum, verborgenes Blut, Hautkrebs-Screening, Gesundheits-Check-Up, Zahnvorsorge, Impfungen.

Zitat aus der Webseite[28]: „Die Zahl derer, die solche Untersuchungen in Anspruch nehmen, ist niedrig: Nur knapp 50 Prozent aller Frauen (ab 20 Jahre) gehen regelmäßig zur Krebsfrüherkennung, bei den anspruchsberechtigten Männern (ab 45) sind es noch nicht einmal 20 Prozent. Die Möglichkeit zur Gesundheitsuntersuchung, einem ‚Check-up‘ alle drei Jahre ab dem 35. Lebensjahr, nutzen sogar nur 17 Prozent aller Frauen und Männer.“

Die beiden Probleme sind natürlich eng miteinander verknüpft: Wenn die Ärzte eh schon total im Stress sind, werden sie ihre Patienten kaum darauf hinweisen, doch einen Termin zu einem Check-up zu vereinbaren. Und wenn die Check-ups nicht stattfinden, dann werden Probleme verschleppt. Was neben der gesunkenen Lebensqualität später auch viel mehr Arbeit für die Ärzte bedeutet.

Schauen wir uns doch zum Vergleich einmal die Vorsorgeuntersuchungen am Auto (HU/TÜV) an.
Aus https://www.allianz.de/auto/kfz-versicherung/hauptuntersuchung:

• Ein sachverständiger Prüfer kontrolliert, ob die Bestandteile des Pkw, die im Straßenverkehr für Sicherheit sorgen, einwandfrei funktionieren – zum Beispiel Bremsen, Lichtanlage, Motorraum und Reifen.

• Drei Jahre nach Erstzulassung muss ein Auto das erste Mal zur HU, danach alle zwei Jahre.

• Die Kosten für den Check belaufen sich auf 70 bis 100 Euro. Wer den TÜV versäumt, setzt seinen Versicherungsschutz aufs Spiel und riskiert bis zu 60 Euro Bußgeld sowie einen Punkt in Flensburg.

• Den Termin können Sie anhand der TÜV-Plakette ablesen. Die runde Kontrollplakette befindet sich auf dem Kfz-Kennzeichen an der Rückseite Ihres Autos.

Wenn wir das mit den Vorsorgeuntersuchungen für die Menschen vergleichen, dann stellen wir fest: Beim Auto finden alle notwendigen Untersuchungen gebündelt statt, beim Menschen muss man zu jeder Untersuchung separat gehen. Der Gesetzgeber nötigt zur Wahrnehmung der Autountersuchung (sonst Strafe) und weist prominent darauf hin (Plakette am Nummernschild). Beim Menschen dagegen erfolgt noch nicht einmal ein Hinweis, und Termine bekommt man erst Monate später (wenn man überhaupt einen Arzt findet, der einen als Patienten akzeptiert).

Jetzt heißt es zwar, Deutschland sei eine Autofahrernation, aber das ist doch absurd!

Was für Folgen hat diese Vernachlässigung der Vorsorge?

Nehmen wir als Beispiel jemanden, der raucht, oft im Stress ist, schlecht isst und deswegen übergewichtig wurde. Aus all diesen Gründen entwickelt er Bluthochdruck. Geimpft ist er auch seit vielen Jahren nicht mehr, denn er hat viel zu viele andere wichtige Dinge zu tun, als über Arztbesuche und seine Gesundheit nachzudenken.

Aufgrund der Überlastung seines Körpers hat er eines Tages einen stummen Herzinfarkt. Mit anderen Worten, der Herzinfarkt wurde nicht als solcher erkannt. Aber durch ihn nimmt seine Herzfähigkeit ab, er entwickelt Diabetes, seine kognitiven Fähigkeiten haben abgenommen. Immerhin ist er nicht daran gestorben! Durch das geschädigte Herz sammelt sich Wasser in seinem Gewebe an (Ödeme). Und die schlechte Durchblutung, kombiniert damit dass er raucht, schädigt sein Lungengewebe immer weiter.

All diese Schäden sind irreversibel, selbst mit bester ärztlicher Versorgung wird sein Körper nicht mehr gesund.

Dafür freut sich dann ein Krankenhaus darüber, dass es jemanden bekommt, für den es ganz viele Fallpauschalen abrechnen kann, um alle möglichen Operationen durchzuführen. Denn anders als für die Vorsorge gibt es hier jede Menge freie Kapazitäten, mit denen jetzt auch Geld verdient werden soll.

All das wäre verhinderbar gewesen, wenn der hohe Blutdruck unseres Beispielpatienten frühzeitig erkannt und behandelt worden wäre. Und wenn ein Arzt ihn dazu gebracht hätte, seine Ernährung umzustellen, mehr Sport zu treiben, Stress zu vermeiden und mit dem Rauchen aufzuhören.

Soweit dieses Beispiel. Reden wir als nächstes über Geld, am Beispiel Deutschlands.

Deutschland gibt pro Jahr 306 Milliarden Euro über die gesetzlichen Krankenkassen aus (Stand 2023).[29] Das sind knapp 3 900€ pro Jahr und Versicherten.26 Dafür bezahlen Versicherte 14.6% ihres Einkommens in die gesetzliche Krankenversicherung (GKV).

Damit leistet sich Deutschland bereits eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt (als Anteil am BIP weltweit zweiter Platz). Dazu kommt: Diese Ausgaben steigen steil an! Noch 2018 lagen die Ausgaben der GKV pro Versichertem bei 3 100€. Das ist also in 5 Jahren ein Anstieg um 25%!

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Zugegeben: Diese Zahlen sind nicht inflationsbereinigt. Dennoch steigen die Ausgaben nicht nur schneller als die Inflation, sondern auch schneller als unser Bruttoinlandsprodukt wächst. Wir steigern unsere Ausgaben für das Gesundheitssystem also mehr als unsere Wirtschaftskraft.

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Selbst abseits aller aktuell bestehenden Probleme: Wir werden uns dieses Gesundheitssystem aufgrund der alternden Bevölkerung bereits in wenigen Jahren nicht mehr leisten können. Entweder wir reduzieren die Leistungen deutlich, die den Patienten bezahlt werden, oder wir verändern das System.

In Deutschland gibt es (Stand 2018) 43 Ärzte je 10 000 Einwohner (0,43% der Bevölkerung), etwa hälftig verteilt auf Krankenhäuser und auf niedergelassene Ärzte.[31] Dazu kommen 132 Krankenpflegekräfte je 10 000 Einwohner (1,32% der Bevölkerung).

Es kommt hier nicht auf die genauen Zahlen an, die sich ja auch von Jahr zu Jahr ändern. Wir brauchen nichts anderes als eine Größenordnung, um diese im Kopf zu behalten, während wir das ganze System neu entwerfen.

Ich möchte noch anmerken, dass ich selbst kein Arzt bin und letztlich auch nur Laienwissen über dieses Fachgebiet habe. Falls ich mich hier in Details irre, so tut das hoffentlich dem Gesamtentwurf eines Gesundheitssystems keinen Abbruch. Details lassen sich oft anpassen, ohne dass ein Konzept verworfen werden muss.