4. Allgemeines

4.1 Begriff „Zukunftsvision“

Ich möchte euch in diesem Buch zeigen, wie man gesellschaftliche Systeme anders organisieren könnte. Denn in den Augen vieler laufen sie heute schief: Wie Steuern erhoben werden und Reichtum verteilt wird, unser Bildungs- und Gesundheitssystem, wie unsere Städte und unser Staat organisiert sind, wie Medien und Politik funktionieren, was für Werte unsere Gesellschaft hat.

Das sind gleichzeitig die Bereiche, in denen es aufgrund unseres pessimistischen Blicks auf Gegenwart und Zukunft an guten Ideen fehlt, wie man mehr als nur Details verbessern könnte. Es sind die Bereiche, wo wirkliche Änderungen nur möglich sind, wenn viele davon überzeugt sind. Und es ist genau hier, wo wir als Gesellschaft bisher ein riesiges Potential brachliegen lassen.

Für das Konzept neuer oder neu gestalteter gesellschaftlicher Systeme gibt es schon ein passendes Wort: „Utopie“. Aber Utopien sind oft wirklichkeitsfern, ohne Rücksicht auf irgendwelche Voraussetzungen.

Ich habe in den letzten beiden Kapiteln über die Zukunft von Menschheit und Erde geschrieben, um die Rahmenbedingungen abzustecken, innerhalb derer sich die von mir vorgestellten Ideen bewegen sollen. Im nächsten Teilkapitel werde ich aufgrund dessen eine Liste von Anforderungen an gesellschaftliche Systeme zusammenstellen.
Ich möchte in diesem Buch daher ein anderes Wort benutzen, um Utopien zu beschreiben, die bestimmten Bedingungen genügen müssen, statt einfach nur toll zu klingen: „Zukunftsvisionen“.13

Die von mir vorgestellten Zukunftsvisionen, Ideen für bessere gesellschaftliche Systeme, sind dabei keine Ratschläge für das Individuum, wie man das eigene Leben verändern könnte. Dafür gibt es bereits mehr als genug Selbsthilfebücher.
Sondern was wir als Gesellschaft verändern könnten. Wenn wir uns als Gesellschaft auf eine bestimmte Struktur, Herangehensweise und Regeln einigen könnten, mit der wir untereinander einen Bereich unseres Lebens organisieren, was für Folgen hätte das dann? Das sind die Zukunftsvisionen, die ich in den folgenden Kapiteln mit Worten malen möchte.

Ein existierendes Beispiel, um das noch etwas greifbarer zu machen, sind die Sozialsysteme. Früher gab es sie nicht. Wer nicht von seiner Familie aufgefangen wurde, wenn es ihm schlecht ging, der konnte nur noch um Almosen betteln. 1883 hat Deutschland mit einer staatlichen Krankenversicherung begonnen, die sozial Schwachen zu schützen, um den Frieden im Land zu wahren, der im Rahmen der Industrialisierung (Verstädterung) zu zerbrechen drohte.[22]

Die Gesellschaft hat sich auf ein gemeinsames neues Regelwerk geeinigt (besser gesagt, da Deutschland damals noch keine Demokratie war - der Reichskanzler hat es verordnet), und aus diesen Regeln ist eine neue Zukunft entstanden.

Das ist die Art von Systemen, die ich in diesem Buch entwerfen will. Aber nicht nur Gesetze - auch Organisationen, kulturelle Normen und alles andere was Gesellschaften zusammenhält, sind legitime Ziele.

Wo immer solche Systeme aktuell bereits existieren, wie zum Beispiel das Bildungswesen, nehme ich keinerlei Rücksicht darauf, wie es aktuell aufgebaut ist.

Die Zukunftsvisionen dieses Buches sind keine Auflistungen von Verbesserungen bestehender Systeme. Mein Ziel ist es stattdessen, für einen Bereich das bestmögliche System zu zeichnen, das ich mir ausdenken kann und welches unter realistischen Bedingungen möglich ist.
Wenn man also auf der grünen Wiese, ohne ein bereits existierendes System, neu beginnen würde.14

Wie solch eine Zukunftsvision tatsächlich Realität werden könnte (zum Beispiel, indem ein bestehendes System verändert wird), versuche ich im 13. Kapitel „Wie wir beginnen“ zu zeigen.