4. Allgemeines
4.2 Anforderungen an Zukunftsvisionen
Sprechen wir jetzt über die Anforderungen, denen Zukunftsvisionen genügen müssen, die sie zu mehr als wirklichkeitsfernen Utopien machen.
Es ist leicht zu sagen: „Lasst uns in einer Welt leben, in der alle nett zueinander sind, und in gemeinsamer Kooperation die Probleme lösen!“.
Das ist eine Utopie. Aber keine Zukunftsvision, wie ich sie in diesem Buch darlegen möchte. Warum? Weil sie voraussetzt, dass alle Menschen plötzlich einen besseren Charakter haben und daher auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten. Damit fehlt aber jeglicher Weg zur Umsetzbarkeit, es ist somit bloßes Wunschdenken.
Menschen haben eine sehr breite Spannweite an Charakterzügen. Einige Menschen sind sehr altruistisch, einige extrem egoistisch. Die meisten Menschen schwimmen irgendwo in der Mitte mit. Mal schauen sie auf ihren eigenen Vorteil, mal gaffen sie bei einem Unfall nur, mal helfen sie jemandem in Not. Die Zukunftsvisionen müssen mit den vorhandenen Menschen funktionieren, so wie sie sind. Auch wenn sie natürlich besser funktionieren werden, wenn die Menschen in ihr einen besseren Charakter haben. Aber es darf keine Voraussetzung dafür sein, dass sie überhaupt möglich sind.
„Lasst uns alle Armeen abschaffen, dann haben wir viel mehr Geld für die wichtigen Dinge!“
Diese Utopie würde voraussetzen, dass die gesamte Welt eine gemeinsame Regierung hat. Was wiederum voraussetzt, alle bisherigen Regierungen davon zu überzeugen, sich selbst abzuschaffen. Auch das ist somit bloßes Wunschdenken.
Ich beschränke mich in diesem Buch stets auf ein Land oder eine Gesellschaft. Utopien, die von der ganzen Welt auf einmal akzeptiert werden müssten um zu funktionieren, sehen wir uns nicht an. Zukunftsvisionen sollen stets das Ziel haben, erreichbar zu sein, wenn sich nur eine ausreichend große Gruppe auf sie einigt.
Die Hürden dafür, dass eine der Zukunftsvisionen dieses Buches tatsächlich umgesetzt wird, sind bereits hoch genug, wenn sich ein Land oder eine Gesellschaft darauf einigen muss. Die ganze Welt unter eine Regierung zu bringen, wäre dagegen schon eine Utopie für sich, bevor wir auch nur anfangen, über bessere gesellschaftliche Systeme zu sprechen.
„Alles wäre viel besser, wenn wir keine Steuern mehr zahlen müssten!“
Was dieser Utopie fehlt, ist eine Betrachtung des Gesamtsystems: Wenn niemand mehr Steuern zahlt, woher bekommt der Staat dann sein Geld? Oder falls er einfach kein Geld mehr bekommen soll: Was passiert mit den Aufgaben des Staates? Welche Gesellschaft entsteht daraus (Anarchie)?
Jede Zukunftsvision wird so weit in sich abgeschlossen sein, dass wir die zusätzlichen Auswirkungen und Kosten für die Gesellschaft betrachtet haben, die durch die jeweilige Zukunftsvision entstehen.
Stellen wir also die Liste unserer Anforderungen zusammen:
• geringe Ansprüche an den Charakter der Menschen: Zukunftsvisionen dürfen nicht voraussetzen, dass alle Gesellschaftsmitglieder plötzlich einen anderen (besseren) Charakter haben, als die heute in der westlichen Welt lebenden Menschen.
• keine Weltregierung: Zukunftsvisionen dürfen nicht voraussetzen, dass es eine gemeinsame Regierung der ganzen Welt gibt, bevor sie umgesetzt werden können.
• Kosten betrachtet: Jede Zukunftsvision muss in sich geschlossen funktionieren. Sie darf nicht nur etwas vermeintlich Schlechtes entfernen (Steuern), ohne sich mit den Auswirkungen und Kosten dessen auf den Rest der Gesellschaft zu beschäftigen (Staatshaushalt).
Darüber hinaus haben wir in den beiden letzten Kapiteln zum Thema Fortschritt und Erde weitere Anforderungen herausgearbeitet, welche Zukunftsvisionen erfüllen müssen:
• automatische Anpassung an sich verändernde Welt: Zukunftsvisionen müssen in einer sich immer schneller ändernden Welt funktionieren und sich an Veränderungen ihrer Umwelt automatisch anpassen.
• Hilfe für Bürger, mit Veränderungen mitzuhalten: Zukunftsvisionen sollten den Menschen dabei helfen, in einer sich immer schneller ändernden Welt gut zurechtzukommen.
• technologische Entwicklung fördern: Zukunftsvisionen müssen technologische Entwicklung fördern, und sie einsetzen, um unsere Umwelt und die Erde zu gestalten. Nur so kann den Problemen durch Ressourcenausbeutung effektiv begegnet werden.
• Robustheit, um Widrigkeiten zu trotzen: Zukunftsvisionen müssen in der Lage sein, Widrigkeiten zu trotzen. Seien das sich ändernde klimatische Bedingungen, feindliche Propaganda oder ein bewaffneter Angriff.
Viele der Ideen, die ich in den folgenden Kapiteln vorschlagen werde, funktionieren unabhängig voneinander. Falls sich eine der Ideen als nicht praktikabel erweist, dann heißt das also nicht, dass andere nicht trotzdem gut sein und funktionieren könnten.
Auf der anderen Seite können und werden sich die verschiedenen Zukunftsvisionen durchaus gegenseitig verstärken.
Etwas, das ich nicht als eigenständige Anforderung aufschreiben möchte, weil es eine zentrale Eigenschaft jeder von mir vorgestellten Zukunftsvision ist, ist höhere Effizienz. Dieser Vorteil wird sich bei jedem „besseren“ gesellschaftlichen Systementwurf ergeben: dass wir dasselbe Ziel mit weit weniger an Ressourcen erreichen als bisher, oder mit den gleichen Ressourcen ein weit besseres Ergebnis. Ein solch effizienterer Umgang mit Ressourcen hilft uns dabei, den in Kapitel 3.2 beschriebenen Wettlauf der Ausbreitung der Menschheit ins All gegen die Ressourcenknappheit zu gewinnen.
Der beste Weg zu höherer Effizienz gesellschaftlicher Systeme führt dabei aus meiner Sicht über die von mir in Kapitel 10 „Staat“ vorgestellten Gemeinschaften.
Es ist außerdem sinnvoll, wo immer möglich, unnötige Komplexität zu vermeiden. In der Wissenschaft gilt der Grundsatz, dass das einfachste Modell bevorzugt werden sollte, das alle Phänomene erklärt (Occam’s Razor). Das gilt auch hier: Wir sollten das einfachste gesellschaftliche System bevorzugen, das alle gewünschten Merkmale hat. Denn mehr Komplexität bedeutet immer auch mehr Unkosten, weniger Flexibilität und schlechtere Verständlichkeit.15