13. Wie wir beginnen

13.1 Konsensbildung

Die in den letzten beiden Kapiteln vorgestellten Ideen für Denkweise und Zusammenleben sind offensichtlich umsetzbar, wenn ein Individuum oder eine kleine Gruppe das tun möchte. Wie aber könnte es dazu kommen, dass eine der in den Kapiteln 5 bis 10 dieses Buches vorgestellten Zukunftsvisionen Wirklichkeit wird, seien es Kulturpunkte oder das Staatswesen? Diese Zukunftsvisionen sind nur umsetzbar, falls sich eine ganze Gesellschaft darauf verständigt, es zu versuchen.
Falls ihr die Ideen dieses Buches nur witzig fandet, aber keinerlei Interesse daran habt, dass eine davon zur Realität wird, könnt ihr hier aufhören zu lesen. Denn in diesem Kapitel werden keine neuen Konzepte mehr vorgestellt, sondern es geht darum, was ihr tun könnt, um die Realisierung einer der vorgestellten Zukunftsvisionen wahrscheinlicher zu machen.

Der Weg zur Realisierung, wenn er denn gelingt, besteht aus folgenden Schritten:

1. Existenz der Zukunftsvision

2. Bekanntheit der Zukunftsvision

3. Konsensbildung

4. Konkretisierung

5. Umsetzung

 

Der erste Schritt ist also, dass die Zukunftsvision als Idee überhaupt erst einmal existiert. Diesen Schritt hat dieses Buch getan.

Der zweite Schritt ist die Bekanntheit der Zukunftsvision. Es reicht nicht aus, dass eine Idee existiert. Viele Menschen müssen sie kennen, bevor ihre Realisierung überhaupt in den Bereich des Möglichen wechselt. Das Schöne ist, dass dieser zweite Schritt fundamental erreichbar ist. Er wird gelingen, falls dieses Buch gut, spannend, anders genug ist und daher oft genug weiterempfohlen wird. Falls nicht, bleibt es einfach eines der etwa 100 000 Bücher, die jedes Jahr in Deutschland veröffentlicht werden. Der Weg endet hier, ohne weitreichendere Effekte, als diesen Zähler um 1 erhöht zu haben.

Die Bekanntheit dieses Buches kann nur von seinen Lesern ausgehen, als exponentieller Prozess der Mundpropaganda. Das klassische Weiterempfehlen des Buches an Freunde und Bekannte (oder jemandem das Buch zu schenken) ist also ein offensichtlicher Beitrag, den ihr leisten könnt, um dieses Buch und seine Ideen bekannter zu machen. Wie solche Exponentialfunktionen funktionieren, haben wir uns in Kapitel 2.1 ja ausführlich angesehen. Bekanntheit auf diesem Weg wird also erreicht werden, falls das Buch im Schnitt oft genug weiterempfohlen wird.

Um das zu erleichtern, ist eine frei verfügbare Onlineversion des Buches unter https://futurevisions.world zu finden, zusammen mit einer englischen Übersetzung des Buchtextes103 (da ein großer Teil des Diskurses im Internet auf Englisch stattfindet). Wenn online über die Probleme unseres Bildungssystems debattiert wird, kann jemand so einen direkten Link zum 7. Kapitel dieses Buches posten.
Hast du dieses Buch auf der Webseite gelesen, statt es gekauft oder geliehen zu haben, freue ich mich über eine Bedankung dafür via
https://buymeacoffee.com/futurevisions .
Der Buchtext ist unter der CC BY-SA 4.0 Lizenz104 verfügbar, derselben Lizenz, die Wikipedia nutzt. Der Text kann somit frei verbreitet und (mit gleicher Lizenz und Hinweis auf die Quelle) auch verändert werden.

 

Der dritte Schritt ist die Herausbildung eines Konsenses, was Menschen auf einem Gebiet erreichen möchten, wie ihr gemeinsames Zielbild für ein gesellschaftliches System aussieht. Ich bin kein Prophet, und dieses Buch ist keine heilige Schrift. Es ist also keinesfalls so, dass dieser Konsens eins zu eins den in diesem Buch vorgestellten Zukunftsvisionen entsprechen muss! Vielmehr können die hier vorgestellten Zukunftsvisionen als Start- und Vergleichspunkte in der Diskussion dienen, wie ein System bestmöglich aufgebaut werden kann.

Aus genau diesem Grund habe ich soviel Zeit darauf verwendet, zu erklären, welchen Rahmenbedingungen die vorgestellten Zukunftsvisionen zu entsprechen versuchen. Einmal im 4. Kapitel „Allgemeines“, dann in der Tabelle am Ende jeder Zukunftsvision, welche die in Kapitel 4.2 aufgestellten Anforderungen überprüft, und schließlich im Kapitel 11.5 „Entfaltung“, in welchem ich den Wert vorgestellt habe, den all meine Zukunftsvisionen zu optimieren versuchen.

Also nehmt diese Rahmenbedingungen  und verbessert nach diesen Spielregeln die von mir vorgestellten Zukunftsvisionen. Oder stellt ihnen Alternativen gegenüber, die eurer Meinung nach noch besser funktionieren würden! Vor allem aber: Behaltet diese Ideen nicht für euch, sondern diskutiert sie mit anderen!
Meine große Hoffnung ist, dass ich nicht der Einzige bin, dem es Spaß macht, solche Szenarien zu durchdenken. Wenn viele Menschen ihr Wissen zusammenbringen, um in einer einzelnen Zukunftsvision Probleme und Fehler auszumerzen, sie immer weiter zu verbessern, dann wird das Ergebnis garantiert besser sein als alles, was ich allein erschaffen konnte.

Ich bin überzeugt davon, dass falls der zweite Schritt gelingt und dieses Buch und seine Ideen eine ausreichende Bekanntheit erreichen, es auch genügend Menschen geben wird, die über diese Zukunftsvisionen diskutieren und Verbesserungen vorschlagen.
Bei allen Problemen mit Filterblasen im Internet: Eine der großen Stärken des Internets liegt darin, Menschen zusammenzubringen, die an einem Nischenthema Interesse haben. Und zumindest zu Beginn wird es definitiv ein Nischenthema sein, Zukunftsvisionen aus diesem Buch realisieren zu wollen!

Falls wir bis hierher kommen, das Buch bekannt wird und Leser im Internet über Verbesserungen der vorgestellten Zukunftsvisionen diskutieren, dann wird die Buchwebseite (https://futurevisions.world) ein Sprungbrett mit Links zu solchen (mir bekannten) Foren bieten, Blogeinträge von mir über relevante Entwicklungen, und alles weitere was mir einfällt, um dabei mitzuhelfen. Falls sich stattdessen eine andere Webseite als organisatorischer Mittelpunkt herauskristallisiert: Um so besser!

Wenn ich Feedback erhalte, sei es aus E-Mails, Forendiskussionen oder persönlichen Gesprächen, die mir Fehler aufzeigen oder Zukunftsvisionen verbessern, werde ich das in den Buchtext einarbeiten und als neue Auflage veröffentlichen.105 Ein sich stetig weiter verbessernder Buchtext sollte der Bekanntheit des Buches zuträglich sein. Was den zweiten Schritt, Bekanntheit von Buch und Ideen, leichter erreichbar macht.
Abseits dieses Buches können natürlich auch komplett andere Alternativen der Zukunftsvisionen entstehen, und das ist ok! Aber ich hoffe, dass ich mit diesem Vorgehen eine ähnliche Rolle einnehmen kann wie jemand, der den Quellcode von Open Source Software verwaltet (wie Linux), um eine zu starke Zersplitterung der Diskussion zu verhindern (zumindest für in diesem Buch vorgestellte Zukunftsvisionen).106

Eine ganz entscheidende Voraussetzung dafür, dass dieser Schritt der Konsensbildung funktionieren kann, ist die Spielregel, dass diese Zukunftsvisionen für die grüne Wiese erdacht und beschrieben sind. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wie das existierende gesellschaftliche System dafür aussieht. Ich bin überzeugt davon, dass es extrem wichtig ist, solche Zukunftsvisionen für sich stehend zu entwerfen. Auf diese Weise kann man Lösungen entdecken, die man mit schrittweisen Verbesserungen nie gefunden hätte (dies erkläre ich gleich noch detaillierter). Außerdem schafft dieses Vorgehen eine gemeinsame Basis für alle Vorschläge (die sich dadurch nicht anhand des aktuellen Zustands unterscheiden) und reduziert ihre Komplexität enorm (eine grüne Wiese ist viel leichter zu beschreiben als ein bestehendes System).
Diese Rahmenbedingung ermöglicht also, dass online alle auf der selben gemeinsamen Grundlage diskutieren können. Es ist völlig egal, ob sie in Deutschland, den USA oder in Uganda leben - und somit völlig verschiedene aktuell bestehende gesellschaftliche Systeme haben (wie das Bildungswesen).

Etwas, das ab jetzt parallel zu den weiteren Schritten passieren kann, ist, diese Zukunftsvisionen in Kunst zu übersetzen - in Geschichten, Bilder, Lieder. Im Internet sind bereits so unglaublich gute Dinge entstanden, durch Fans und unabhängige Künstler, die zwar kein großes Budget hatten, aber dafür jede Menge Herzblut für das, was sie begeistert - zum Beispiel für ein Fan-Universum. Genau dadurch, dass bei Fanfiction (Geschichten) und Fan-Art (Bildern) kein Copyright durchsetzbar ist, entstehen durch ständige Abwandlungen und Fortführungen Kunstwerke, die niemand allein so hätte erschaffen können.107

Auch dieses Buch kann theoretisch Grundlage für einen solchen Effekt sein. An jeden, der mit seiner Kunst versuchen will, die Bekanntheit von Zukunftsvisionen zu steigern, die ihren Startpunkt in diesem Buch hatten: Versucht, eure Werke unter einer möglichst offenen Lizenz zu verbreiten! Ermöglicht Mashups108 und Fanfiction von euren Werken! Es erhöht die Chance massiv, dass über mehrere Schritte etwas wirklich Packendes entsteht, das Menschen für diese Zukunftsvisionen viel besser begeistern kann als dieses Sachbuch.

Bis hierher, zur Konsensbildung, ist das alles weitgehend abstrakt und theoretisch. Nicht mehr, als dass sich eine Onlinefilterblase auf eine gemeinsame Idee geeinigt hat. Und es ist noch nicht einmal klar, wie breit dieser Konsens tatsächlich ist. Schließlich ist bisher alles online passiert, und niemand kann glaubwürdige Werte angeben, wie hoch die Zustimmungsrate in einer existierenden Gesellschaft, wie einem Staat, dafür wäre - schließlich werden sich die allermeisten Menschen nicht damit beschäftigt haben, was eine Nerdkultur im Internet veranstaltet.

Bevor wir jetzt zum vierten Schritt weitergehen, sollten wir uns vergegenwärtigen, wie unglaublich viel wir erreicht haben, falls wir diesen dritten Schritt erfolgreich gehen: Wir haben eine neue, positive Sicht auf die Zukunft eröffnet, etwas, was es seit dem Kommunismus so nicht mehr gab!
Es mag bisher nur im Internet existieren, aber es ist nicht mehr die Spinnerei eines Einzelnen, sondern die geteilte Weltsicht einer großen Gruppe. Solche von vielen Händen verbesserte und von vielen Augen auf Fehler geprüfte Zukunftsvisionen können dann zu den Triebfedern echter Veränderungen werden. Und sie wären viel stärkere Grundlagen für eine Bewegung als ein „wir sind gegen Atomkraft“. Sie wären eine positive Vision der Zukunft, die man erreichen möchte, statt nur das Bild einer schlimmen Dystopie, die unbedingt verhindert werden soll.