1. Dystopischer Zukunftsblick

1.2 Medien

Dass Gefühl und Wirklichkeit so weit auseinander liegen, hat einen einfachen und prägnanten Grund: die Medien.

Nein, nein, die Medien belügen uns nicht. Das sind keine "Fake News". Die Morde und Unfälle, über die da geschrieben wird, sind wirklich passiert. Der Krieg, von dem da die Rede ist, der findet wirklich statt. Natürlich können Medien sich irren. Aber es gibt genug Morde, Unfälle, Kriegstote und hungernde Kinder auf der Welt, um alle Titelseiten und Artikel für immer gefüllt zu halten. Sie zu erfinden wäre nur aufwendiger. Und wenn man zu oft der Unwahrheit überführt wird, ist das schlecht fürs Geschäft.

Eine große Verschwörung der Medien anzunehmen, uns schlechte Nachrichten erzählen zu wollen, ist nicht nur wirklichkeitsfern, es würde das Phänomen noch nicht einmal erklären, wenn es denn stimmen würde.

Denn selbst die Verschwörungsgläubigen behaupten ja nur, dass die Medien uns die "Wahrheit" verschweigen wollen. Und die "Wahrheit" ist jeweils das, was diese Menschen für wahr halten: Dass die Regierung beim Impfen Mikrochips implantiert. Dass die Welt von der jüdischen Weltverschwörung gelenkt wird. Dass die Aliens schon lange unter uns leben.

Selbst wenn das wahr sein sollte: Das klingt doch alles nicht nach positiven Nachrichten...

Also: Warum bombardieren uns die Medien nicht mit positiven Nachrichten, so wie sie es mit negativen tun? Wo sind die schreienden Schlagzeilen „Dieses Jahr wieder weniger Kleinkinder gestorben als letztes Jahr!“ oder „Bildungsrate weltweit gestiegen!“ ?

Nun ja, vergleiche es mit den Titelzeilen „Tornado verwüstet Küstenstadt in den USA!“ oder „Familie bei Einbruch grausam ermordet, keine Spur der Täter!“

Auf welche Titelzeile wird eher geklickt werden? Welcher Artikel bekommt mehr Leser? Wo gibt es den konkreten Anlass, gerade jetzt und brandaktuell darüber zu berichten?

Fast immer bei der negativen Schlagzeile. Und genau das ist das Problem.

Medien sind ein Geschäft. Ein Geschäft der Aufmerksamkeit. Was kann ich tun, um möglichst viele Zeitungen zu verkaufen, eine möglichst hohe Einschaltquote oder so viele Aufrufe der Webseite wie möglich zu bekommen?

Der Mensch ist von der Evolution* darauf getrimmt, sich zuerst mit möglichen Problemen und Gefahren auseinanderzusetzen. Medien sind profitorientiert und berichten großteils über Probleme und Gefahren, weil ihnen das Aufmerksamkeit, Kundschaft und Gewinn bringt.

Damit haben wir natürlich nicht den Hauch einer Ahnung, was man dagegen tun könnte. Der Kapitalismus ist wie er ist. Die meisten Reporter sind integre Menschen, die sich große Mühe geben, ihren Job so gut wie möglich zu machen.

Es gab schon viele Initiativen für mehr Qualitätsjournalismus und mehr gut recherchierte Hintergrundstories. Kickstarter und Geldsammlungen, um Journalistengruppen bessere Nachrichten schreiben zu lassen.

Allein, es hat alles nicht viel gebracht. Die Medienkonzerne werden immer besser darin, unsere Aufmerksamkeit zu halten. Was sie mit einer nicht endenden Flut von negativen Nachrichten tun. Der Teil der Bevölkerung, der viel Geld für Qualitätsjournalismus ausgibt, ist verschwindend gering.3

Und die sozialen Medien machen alles nur noch schlimmer.

So sehr man auch über geldgeile Medienkonzerne herziehen mag, zumindest müssen sie auf ihren eigenen Ruf achten. Und zumindest werden die Nachrichten dort von ausgebildeten Journalisten geschrieben, die zum größten Teil eine gewisse Berufsehre mitbringen und dem Gewinnstreben des Konzerns ihre persönliche Integrität entgegen setzen.

In Deutschland haben wir zusätzlich noch die öffentlich-rechtlichen Medien, die den Privatkonzernen zumindest ein gewisses Korrektiv sind und uns eine alternative Nachrichtenquelle bieten, die nicht nur auf Einschaltquote und Gewinn getrimmt ist. Sie berichten daher eher auch über positive Entwicklungen.[2]

In den sozialen Medien dagegen sind wir alle es, die die Nachrichten machen. Indem wir unsere eigenen Meinungen schreiben, Bilder und Videos posten, wenn wir etwas vorfinden das wir teilen wollen.
Viel mehr und viel wichtiger aber: Indem wir das teilen, was unsere Aufmerksamkeit weckt. Und was unsere Aufmerksamkeit weckt, sind zuallererst immer negative Nachrichten. Dinge, über die wir uns aufregen können.

Ob es dagegen wahr ist, was wir teilen, wer weiß? Wir können es oft nicht beurteilen. Und anders als ein Journalist haben wir keinen Berufsethos, es zu prüfen, bevor wir es verbreiten.

Die Verbreitung findet über mehrere Stufen statt. Du teilst es mit deinen Bekannten, deine Bekannten mit ihren Bekannten und so weiter. Und auf jeder dieser Stufen wiederholt sich dieser Filtereffekt, werden negative und emotionale Nachrichten verstärkt, positive Nachrichten versickern. Weitgehend unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt. Ein solcher sich wiederholender Filtereffekt wirkt wie eine Exponentialfunktion*. Wie in der Geschichte mit den Reiskörnern auf den Schachbrettfeldern (siehe Kapitel 2.1): Aus einem werden zwei, dann 4, 8, 16, 32,... Wie eine Lawine.
Was am Ende bedeutet, dass so gut wie niemand das Bild von den schönen Blumen gesehen hat, das du bei Facebook reingestellt hast. Dafür aber alle die Falschmeldung von dem von Ausländern vergewaltigten jungen Mädchen.

Kurz gesagt: In sozialen Medien verbreiten sich falsche, aber stark emotionale Nachrichten viel stärker als wahre, positive Nachrichten.

 

Und so lernen wir alle immer und immer wieder, in konkreten Geschichten und Nachrichten, wie schlecht unsere Gegenwart ist und wie schlimm unsere Zukunft sein wird. In Büchern, Filmen, Computerspielen, Nachrichtensendungen, Zeitungen und den sozialen Medien.

Bei Spielfilmen oder Romanen stellt sich die Wahrheitsfrage gar nicht erst. Wir alle wissen, dass sie erfunden sind, und lesen oder sehen sie uns an, weil wir es wollen.

Bei den Medien gehen die Vorwürfe der "Lügenpresse" so weit an der Realität vorbei, dass es nicht mehr lustig ist. Erstens, weil jede einzelne Meldung für sich genommen ja wahr ist. Und zweitens, weil es gerade nicht darum geht, ob etwa noch viel schlimmere Dinge verschwiegen werden, sondern all das Positive in der Welt!

Also auf der einen Seite klingt das ja alles ganz schrecklich. Aber auf der anderen Seite, ist das nicht gut? Wozu der Alarm, dass die Dinge in Wirklichkeit besser sind als wir glauben? Werden wir das nicht selber nach und nach mitbekommen, wenn sich die schlimmen Vorhersagen nicht bewahrheiten und die Zukunft doch ganz ok ist?

Anders gefragt: Warum ist das überhaupt ein Problem? Außer, dass die Menschen glücklicher sein könnten als sie es sind?