6. Gesundheitswesen
6.6 Ergebnis
Damit sind wir fertig damit, eine neue Version eines Gesundheitswesens zu entwerfen. Seine wesentlichen Merkmale sind:
• regelmäßige, gebündelte Vorsorgeuntersuchungen
• ein Arzt und zwei Krankenpfleger je 100 Bürger
• komplett staatlich organisiertes Gesundheitswesen
• vom Staat verwaltete Gesundheitsdaten, vielfältig ausgewertet
• Gesundheitsapp zum Informieren, Bewerten und für Terminvereinbarungen
• nach Zufriedenheit, Kompetenz und Effizienz bezahlte Ärzte
• Polikliniken, um eine höhere Effizienz zu erreichen, paarweise Fachärzte
• Streichen der ineffizientesten Behandlungen, wenn die Auslastung des Systems zu hoch ist
• Simulation des gesamten Systems im Computer (Auslastung, Parameter, Probleme)
• Krankenhäuser in Verantwortung der Kreise
Es ist ein viel komplexeres System als die im letzten Kapitel vorgestellten. Es kostet immer noch viel Geld, aber dafür versorgt es die Bürger auch auf einem Level, welches der Wichtigkeit unserer Gesundheit angemessen ist.
Jeder von uns hat nur den einen Körper. Wenn die Gesundheit erst einmal hinüber ist, dann ist alles Andere plötzlich ganz unwichtig. Eine gute Gesundheitsversorgung ist nicht nur eine ethische Frage. Auch wirtschaftlich ist es für einen Staat viel besser, wenn er seine Bevölkerung gesund hält, so dass Arbeitnehmer auch tatsächlich gut arbeiten können.
Eine Voraussetzung dafür, dass diese Zukunftsvision tatsächlich eine wünschenswerte ist, ist dass wir bereit sind, dem Staat all unsere Gesundheitsdaten anzuvertrauen. Der Staat muss also vertrauenswürdig und robust genug sein, dass wir diese Entscheidung nicht bereuen. Mit einem Entwurf für ein neuartiges Staatswesen werden wir uns im 10. Kapitel „Staat“ beschäftigen.
Kehren wir zurück zu unserem Beispiel, dem gestressten, übergewichtigen Raucher vom Kapitelanfang. Wie wäre es ihm in unserem neuen Gesundheitssystem ergangen?
Bei der ersten jährlichen Vorsorgeuntersuchung wird bereits festgestellt, dass er in einer körperlich schlechten Verfassung ist. Der Arzt gibt ihm Hinweise dafür, wie er seinen Lebenswandel ändern sollte und welche Risiken er sonst eingeht (zum Beispiel den eines Herzinfarktes). Er erklärt ihm auch, woran er einen Herzinfarkt erkennen kann und wie er sich dann verhalten soll. Damit sinkt zum einen das Risiko eines stillen (also unerkannten) Herzinfarkts, zum anderen kann eine solche Erklärung auch angsteinflößend genug sein, dass der Patient sein Verhalten tatsächlich ändert. Hat der Patient jetzt bereits Bluthochdruck, so erhält er ein Medikament dagegen. Zum Abschluss bekommt der Patient die für ihn anstehenden Impfungen. Er ist eh schon hier, da ist es leichter, dem Rat des Arztes dafür zu folgen.
Ein Jahr später, bei der nächsten Vorsorgeuntersuchung, hat der Arzt noch deutlich mehr Möglichkeiten. Zum einen kann er vergleichen, wie sich die Gesundheit des Patienten im Laufe des Jahres verändert hat. Hat er weiter zugenommen? Wie sieht das CT-Bild der Lungen jetzt aus, im Vergleich zum Vorjahr? Ist der Blutdruck gestiegen?
Zum anderen sind die Daten des Patienten vom letzten Jahr im Laufe des Jahres viele Male durch Algorithmen analysiert worden, so wie die aller Bürger. Aufgrund dessen kann der Arzt dem Patienten jetzt viel genauer die Risiken nennen, die er mit seinem Lebenswandel eingeht: prozentuales Risiko, im Laufe eines Jahres einen Herzinfarkt zu bekommen, Diabetes zu entwickeln, erhöhtes Todesrisiko und so weiter. Auch Daten dazu, um wie viel der Patient seine Aussichten verbessern kann, indem er abnimmt, Sport treibt, mit dem Rauchen aufhört. Mit diesem Material hat der Arzt noch deutlich bessere Chancen, den Patienten von der Notwendigkeit zu überzeugen, seinen Lebenswandel zu ändern.
Natürlich ist es die Entscheidung des Patienten, wie er sein Leben lebt. Aber dieses Gesundheitswesen gibt ihm frühzeitig Warnungen, wenn etwas schief läuft. Ist es etwas, bei dem durch ärztlichen Eingriff Folgeschäden verhindert werden können (zum Beispiel mit einem Medikament gegen Bluthochdruck oder Diabetes), so wird dieser Eingriff frühzeitig erfolgen. Ist es eine Entscheidung, die er an dem Tag treffen kann (wie eine Impfung), so wird er sich viel eher für den ärztlichen Rat entscheiden, als wenn dafür erst extra ein Termin notwendig wäre. Weil die richtige Entscheidung für ihn die einfachere ist (dieses Prinzip nennt sich „Nudging“). Ist es etwas, das nur der Patient selber ändern kann (wie Sport zu treiben), so erhält er die Warnung frühzeitig, und die Informationen, die er braucht, um eine informierte Entscheidung zu treffen.
Und landet der Patient dann doch im Krankenhaus, so hat dieses zumindest kein finanzielles Interesse daran, alle möglichen Operationen an ihm durchzuführen. Stattdessen will das Krankenhaus nur eine möglichst gute Zufriedenheit des Patienten und eine gute Kompetenzbewertung erreichen.
Anforderungsabgleich
Anforderung |
Merkmale der Zukunftsvision |
geringe Ansprüche an Charakter der Menschen |
• Bezahlung der Ärzte nach Kompetenz und Patientenzufriedenheit • Kontrolle anhand der Gesundheitsdaten der Bürger |
keine Weltregierung |
unproblematisch |
Kosten betrachtet |
• Kostenabschätzung im Kasten • Fokus auf Kostenreduktion (z.B. Poliklinik) |
automatische Anpassung an sich verändernde Welt |
• automatische Anpassung der bezahlten Behandlungen und Medikamente • weitgehende Autonomie der Ärzte (Arbeitszeiten, Arbeitsteilung, Gerätschaften) |
Hilfe für Bürger, mit Veränderungen mitzuhalten |
• Gesundheitsapp für Organisation und Überblick • jährliche Gespräche mit dem Hausarzt • gebündelte Vorsorgeuntersuchungen |
technologische Entwicklung fördern |
• Wettbewerb zwischen Ärzten durch Reservekapazität (80% Auslastungsziel) |
Robustheit, um Widrigkeiten zu trotzen |
• Reservekapazität (80% Auslastungsziel) |