5. Wirtschaft
5.2 Patentwesen
Wie wir im 2. Kapitel gesehen haben, basiert unsere Gesellschaft fundamental auf Wissen. Letztlich ist Fortschritt nichts anderes als die Anwendung von mehr und mehr gesammeltem nützlichem Wissen. Und so richtig in Fahrt gekommen ist der Fortschritt mit der zunehmend effektiveren Teilung des vorhandenen Wissens. Zuerst durch den Buchdruck, in der modernen Zeit durch das Internet. Heutige Wissenschaftler wissen immer mehr über immer weniger, weil das Wissen immer tiefer reicht, in einen Kopf aber nur begrenzt viel Wissen hinein passt und auch Wissenschaftler nur endlich viel Zeit dafür haben, sich ihr Wissen anzueignen. Deshalb ist es so wichtig, dass Wissen geteilt wird und gut auffindbar ist, wenn man es braucht. Denn niemand kann mehr alles Nötige selber wissen, wie zu Zeiten von Universalgenies wie Leonardo da Vinci.
Worauf ich damit hinaus will ist, dass Fortschritt und damit die Gesellschaft davon abhängt, wie gut diese Kultur des Teilens von Wissen funktioniert.
Dieses Prinzip ist auch den Staaten seit Jahrhunderten bekannt und hat dazu geführt, dass Patente eingeführt wurden. Die Idee von Patenten ist wie folgt: Ein Erfinder wird für seine Mühen, neue Dinge zu erfinden, belohnt, indem er ein Patent auf seine Erfindung erhält. Für eine bestimmte Zeit, typischerweise 20 Jahre, muss jeder andere, der die Erfindung nutzt, Patentgebühren an den Erfinder bezahlen. Im Gegenzug dafür ist das Patent öffentlich, so dass das neue Wissen von Anfang an allen zur Verfügung steht (auch wenn man für die Benutzung bezahlen muss). Patente hatten also das Ziel, zum Erfinden anzuregen, erfolgreiche Erfinder zu belohnen und die Verbreitung von Wissen zu fördern.
Von diesen hehren Prinzipien ist heute leider nicht mehr viel übrig.
Eigentlich sollte für Patente eine so genannte „Erfindungshöhe“ gelten. Dinge, die für einen Fachmann auf dem jeweiligen Gebiet offensichtlich sind, sollten nicht patentierbar sein. Da für Fachfremde aber nur sehr schwer erkennbar ist, was nun offensichtlich ist und was nicht, werden regelmäßig auch ziemlich triviale Patente gewährt. Zudem haben sich Patente auch weit über Gerätschaften hinaus ausgedehnt. Ein großer Teil der Patente wird heute auf Algorithmen erteilt (Softwarepatente), und selbst Gene sind patentierbar.
Dazu kommt, dass Erfindungen heute nicht mehr das Werk von Einzelkämpfern sind. Stattdessen haben große Unternehmen Forschungsabteilungen. Aus denen gehen Produktideen hervor - und jede Menge Patentanträge. Diese Patente können dann benutzt werden, um mit anderen Firmen Abkommen zu schließen, dass man die Patente wechselseitig nutzen darf. Auf diese Weise kann man sich andere lästige Konkurrenten vom Hals halten. Denn wenn diese etwas Neues auf den Markt bringen, findet man darin bestimmt irgend etwas, auf das man selber ein Patent hat. Woraufhin der Konkurrent einem entweder Geld zahlen muss oder sein Produkt umdesignen, um das Patent zu umgehen.
Der Effekt, dass man aus dem geteilten Wissen der Patente tatsächlichen Nutzen ziehen kann, ist dagegen so gut wie nicht mehr vorhanden. Dazu ist die Menge der Patente zu groß und ihre Qualität zu gering. Sie beschreiben meist einfach nur Ideen, ohne dass sie je umgesetzt wurden. Eingereicht, um die eigene Patentanzahl zu steigern und jedem, der so etwas tatsächlich einmal bauen sollte, Steine in den Weg zu legen.
Zusammengefasst kann man sagen, dass Patente heutzutage nichts anderes mehr sind als Waffen, mit denen Konzerne Krieg gegeneinander führen. Mit dem Effekt, dass sie die in unserer Wirtschaft sowieso schon vorhandene Tendenz zu immer stärkerer Konzentration auf wenige große Konzerne noch weiter verstärken.
Das Ganze ist also definitiv ein verbesserungswürdiges System. Wie aber sollte man es verbessern?
Ich plädiere dafür, hier einfach radikal zu sagen: Lasst es uns abschaffen! Der einsame Erfinder, für den es erdacht wurde, spielt keine wirtschaftliche Rolle mehr. Als Mechanismus für die Wissensverbreitung funktioniert es nicht mehr. Somit bleiben keine positiven Effekte übrig. Und der Effekt der Wettbewerbsbehinderung ist etwas, das der Gesamtwirtschaft schadet.
Was würde sich für Unternehmen ändern, wenn es keine Patente mehr gäbe? Ich denke, sehr wenig. Die Forschungsabteilungen würde es weiterhin geben. Schließlich wollen Konzerne immer noch die Ersten sein, die neue Produkte auf den Markt bringen. Strenge Geheimhaltung gibt es da heute schon, und dabei bleibt es auch. Wer ein bestehendes Produkt eins zu eins kopiert, der macht sich immer noch der Markenfälschung schuldig. Und auch der Schutz von Gebrauchsmustern (das Aussehen eines Produkts) bleibt erhalten, genauso wie das Copyright (Schutz von Texten). Was aber viel leichter würde ist, als Wettbewerber ein bestehendes Produkt zu analysieren, zu verbessern und eine verbesserte Version in eigenem Design auf den Markt zu bringen. Allzu viele Sorgen müssen sich große Konzerne aber trotzdem nicht machen: Dafür sind die Effekte großer Produktionsmengen und der Markenbindung zu stark. Vor allem enthalten neue innovative Produkte mehr und mehr Mikrochips und Software. Auch ohne ein Patentwesen darf diese Software nicht einfach kopiert werden, sondern muss neu geschrieben werden (wegen des Copyrights). Niemand muss sich Sorgen darüber machen, dass die Einstiegshürde hier plötzlich zu niedrig wäre.
Abgesehen von besserem Wettbewerb würde es die Kategorie der Patenttrolle abschaffen. Das sind Firmen, die sich darauf spezialisiert haben, Patente aufzukaufen und dann alles und jeden zu verklagen. Was nicht nur Unternehmen völlig unnötige Kosten aufbürdet, sondern auch die Gerichte komplett sinnlos beschäftigt.
Was kann der Staat also tun, um die berechtigten Ziele stattdessen zu fördern, für welche das Patentwesen ursprünglich geschaffen wurde? Schließlich ist es enorm wichtig, als Staat in Sachen Wissenschaft und Fortschritt im Wettbewerb mithalten zu können. Es sind Dinge, die Deutschland aktuell bereits tut:
1. Forschung fördern. Der Staat steckt Geld in Hochschulen. Teils direkt, teils in Form von Projektförderung. Die an den Universitäten arbeitenden Forscher kooperieren mit der Industrie, für die dies günstiger ist, als Forschungsabteilungen komplett selbst zu finanzieren. Auf diese Weise kann der Staat nicht nur fördern, dass geforscht wird, sondern auch beeinflussen, auf welchen Gebieten dies schwerpunktmäßig geschieht.
2. Open Data. Alle Forschungsergebnisse und gesammelten Daten, die mit Steuergeldern finanziert wurden, müssen der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich gemacht werden (sofern das keine Persönlichkeitsrechte verletzt). Alle Software, die mit Staatsmitteln finanziert wurde, muss unter einer Open Source Lizenz veröffentlicht werden. Das Stichwort hier ist „transparenter Staat“. Auf diese Weise sorgt der Staat durch seine Unterstützung der Forschung dafür, dass Forschungsergebnisse aufeinander aufbauen können. Auch wenn (genauso wie heute) natürlich nie verhindert werden kann, dass Firmen bestimmte selbst finanzierte Ergebnisse geheim halten, um einen Wettbewerbsvorteil zu haben. Das ist aus Staatssicht auch völlig ok, da es ein Wettbewerbsvorteil einheimischer Firmen gegenüber ausländischer Konkurrenz ist.
Zu Patenten auf Medikamente: Es gibt das recht überzeugend klingende Argument, dass Medikamente den Patentschutz brauchen, da sonst nicht genug Geld in die Medikamentenforschung gesteckt würde. Außerdem sind die Studien zur Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsprüfung sehr teuer. Diese Studien werden auch für die Zulassung der Medikamente benötigt. Sind Medikamente dagegen einmal zugelassen, ist der Nachbau als Generika relativ einfach. Die Herstellung ist im Vergleich zum Finden des Wirkstoffes viel billiger.[24]
Als fairste und einfachste Lösung erscheint mir hier, die Zulassung selbst als Schutzmechanismus zu benutzen: Hat ein Unternehmen das Zulassungsverfahren für ein Medikament erfolgreich durchlaufen, und die dafür notwendigen Studien eingebracht, dann erhält es einen Schutzzeitraum von 10 Jahren ab Studienabschluss für diese erbrachte Leistung. In dieser Zeit ist der Verkauf von Generika dieses Medikaments nicht gestattet. Mit diesem Schutz ersetzen wir die Wirkung der Patente auf diesem Gebiet. Wir tun es vor allem ohne jede zusätzliche Bürokratie: Das Zulassungsverfahren ist so oder so notwendig. Und es macht Informationen wie das Herstellungsverfahren und den Wirkmechanismus öffentlich.
Das größte Problem dabei, das Patentwesen abzuschaffen, ist vermutlich ein außenpolitisches. Das Patentsystem wurde vor allem von den USA forciert, um die Erfindungen ihrer einheimischen Firmen vor ausländischen Nachahmern zu schützen (auch wenn heute mit Abstand die meisten Patente in China beantragt werden). Das Patentsystem ist vor allem im Handelsrecht verankert (WTO). Wenn eine Firma ein Patent der USA verletzt, dann kann die Firma in den USA auf Strafzahlungen verklagt werden. Zahlt die Firma nicht, so kann sie ihre Produkte in den USA nicht mehr verkaufen.
Wenn sich ein Staat also aus dem Patentsystem verabschiedet, so bedeutet das leider nicht, dass die dortigen Unternehmen sich um Patente nicht mehr kümmern müssen. Aber Nachteile entstehen den Firmen des Staates auch nicht: Patente können unabhängig vom Herkunftsland eingereicht werden. Ein Unternehmen könnte also seine Patente in den USA oder der EU einreichen, um dort Wettbewerbsnachteile zu vermeiden. Aber in allen Staaten, die sich aus dem Patentwesen verabschiedet haben, wären diese Patente nur noch nutzlose Stücke Papier.
Anforderungsabgleich
Anforderung |
Merkmale der Zukunftsvision |
geringe Ansprüche an Charakter der Menschen |
• Patente können nicht mehr als Waffen eingesetzt werden |
keine Weltregierung |
• Hat nur Auswirkungen in Ländern, die das Patentwesen abschaffen |
Kosten betrachtet |
• senkt die Gesamtkosten |
automatische Anpassung an sich verändernde Welt |
• ermöglicht schnellere Nutzung neuer Erfindungen |
Hilfe für Bürger, mit Veränderungen mitzuhalten |
keine relevante Veränderung (Patente stellen Firmen vor Probleme, für Bürger erhöhen sie nur die Preise) |
technologische Entwicklung fördern |
• ermöglicht schnellere Nutzung neuer Erfindungen |
Robustheit, um Widrigkeiten zu trotzen |
• Ja, durch schnellere Nutzung neuer Erfindungen |