12. Mit wem wir leben

12.2 Kompetenzen

Genauso, wie ich dem PD-System und dem Heimlieferer Namen gegeben habe, um darüber schreiben zu können, möchte ich es auch hier tun. Da diese Form des Zusammenlebens viele Eigenschaften von Familien teilen wird, nenne ich sie im folgenden „Familia“. Eine Wahlfamilie, statt einer Familie aufgrund von Verwandtschaftsbeziehungen.
Ich möchte also eine neue, andere Form der Gruppenorganisation vorstellen, welche anstelle der Kleinfamilie die Rolle der am stärksten kooperierenden Gruppe einnimmt, denen ihre Mitglieder angehören. Ich nenne sie ab jetzt „Familia“. Ihre Mitglieder leben zusammen, wirtschaften zusammen und vertrauen einander.

Wie groß sollte eine Familia sein?

Die kleinstmögliche Größe ist offensichtlich zwei, sonst ist es keine Gruppe, sondern ein Individuum. Um durch die Größe Vorteile gegenüber einer Kleinfamilie haben zu können, muss eine Familia mehr Erwachsene haben als diese, also mehr als zwei. Aber um wie viel größer?

Um dafür ein gutes Gefühl zu bekommen, sehen wir uns an, wie der entscheidende Vorteil und die entscheidende Limitierung der Gruppengröße mit ihrer Anzahl skalieren.

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Die entscheidenden Vorteile jeder kooperierenden Gruppe sind Arbeitsteilung, Skalierung und Spezialisierung. Die Verstärkung dieser Vorteile durch ein zusätzliches Gruppenmitglied lässt sich gut als 1/n abschätzen (wobei n die neue Gruppengröße ist). Zum Beispiel bringt eine Vergrößerung einer Gruppe von drei auf vier Personen eine maximale Verbesserung um 1/4 oder 25%. Das bedeutet, dass jedes Gruppenmitglied 25% weniger Arbeit hätte als vorher, falls sich die Arbeitsmenge nicht erhöht (das wird nie der Fall sein, es ist also das theoretische Maximum) und fair geteilt würde. Genauso bedeutet es, dass sich jedes Gruppenmitglied spezialisieren kann, indem 25% seiner Fertigkeiten von der hinzugekommen Person übernommen werden (wieder bei perfekter Verteilung).

Die entscheidende Limitierung jeder kooperierenden Gruppe ist die Zahl an Beziehungen, die jeder zu den anderen Gruppenmitgliedern pflegen muss. Dies ist aus dem gleichen Grund eine Limitierung, aus welchem die Dunbar-Zahl eine Beschränkung der sozialen Beziehungen beschreibt, die wir insgesamt aufrecht erhalten können. Jede soziale Beziehung kostet Zeit und geistige Kapazität, und beides sind endliche Ressourcen. Im Vergleich zu einfachen sozialen Beziehungen kosten diese in einer zusammen lebenden und wirtschaftenden Gruppe deutlich mehr an Zeit und vor allem an geistiger Kapazität: Ich muss genug Zeit mit einer Person verbringen und genug über sie wissen, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und zu erhalten. Dazu kommt, dass mit zunehmender Gruppengröße nicht nur die nötige Menge an Zeit und geistiger Kapazität für Vertrauensverhältnisse steigt: Vielleicht gelingt es in einem Fall auch gar nicht, weil sich zwei Personen einfach nicht miteinander vertragen. Je größer die Gruppengröße, umso wahrscheinlicher ist es, dass ein solcher Fall vorkommt.97

Diese sozialen Beziehungen sind kein stetig zunehmender Nachteil. Zum einen steigern sie das Wohlbefinden und Sicherheitsgefühl (verhindern Einsamkeit), zum anderen lasten sie so oder so vorhandene geistige und zeitliche Kapazitäten aus (zum Beispiel während Mahlzeiten). Erst mit zunehmender Gruppengröße dreht sich das um und überfordert die einzelnen Personen.
Auch der Nachteil der Gruppenbildung innerhalb der Familia (die somit nicht mehr die innerste soziale Gruppe wäre) wird erst ab einer bestimmten Größe und ab dieser immer stärker auftreten.

Ab welcher Gruppengröße genau die Nachteile die Vorteile überwiegen, weiß ich nicht. Das wird auch nicht immer und überall gleich sein. Aber ich kann es schätzen und von da an weiter zeichnen: Ich schätze, die Mindestgröße einer Familia, um gut zu funktionieren, wird vier Erwachsene sein, sechs bis acht Erwachsene sind ideal, darüber hinaus werden die Nachteile deutlich zunehmen. Bei mehr als zwölf Erwachsenen sind die Nachteile definitiv in der Überzahl, und die Familia wäre dysfunktional.
Dies ist wie gesagt nur meine Schätzung. Das Gute ist, dass eine Familia nach und nach wachsen kann, indem sie über längere Zeit zusätzliche Personen oder Paare integriert (siehe 12.4). So kann der Kipppunkt von Vor- zu Nachteilen bemerkt werden, bevor er deutlich überschritten ist.

Kinder zähle ich bei dieser Anzahl nicht mit. Genauso wenig wie sehr alte und sehr kranke Menschen. Die Gruppengröße bezieht sich auf diejenigen, die sich an der Arbeitsteilung beteiligen (inklusive Spezialisierung) und zum Sicherheitsnetz der ganzen Familia beitragen können.
Das ist natürlich nicht alles oder nichts: Kinder werden nach und nach Aufgaben übernehmen können, und auch alte Menschen können sehr lange noch bei einigen Aufgaben helfen, bevor sie zu reinen Pflegefällen werden.
Für die weitere Beschreibung werde ich konkret von einer Familia mit sechs Erwachsenen ausgehen.

Neben der Kompatibilität ist die Spezialisierung in verschiedenen Kompetenzen eine Kerneigenschaft, welche Familias auszeichnen soll - anstatt einer Liebesbeziehung, wie in einer Kleinfamilie, oder eines konkreten Ziels, wie in einer Kommune. Sehen wir uns genau das daher näher an: Welche Kompetenzen sollten innerhalb jeder zusammen lebenden und wirtschaftenden Gruppe, ob Kleinfamilie oder Familia, vorhanden sein?

• Kontakt: Jemand sollte gut darin sein, in der Gesellschaft zu navigieren, viele Freunde, soziale Kontakte und Beziehungen haben, charismatisch sein.
Dank dieser Kompetenz ist die Gruppe gut im weiteren Geflecht der Gesellschaft verankert und kann bei Problemen auf die Unterstützung von Freunden, Arbeitskollegen oder Nachbarschaft zurückgreifen.

• Überblick: Jemand sollte einen Überblick über die zu erledigenden Aufgaben haben, wissen, wer sie am besten erledigen könnte, sowie Buch darüber führen, wer wie viel geleistet und beigetragen hat, damit es fair für alle ist (es ist wichtig, dass sich niemand bei der Aufgabenverteilung ungerecht behandelt fühlt).
Jemand sollte wissen, was der Gruppe alles gehört, was es wert ist, welche Verträge und Versicherungen die Gruppe unterhält, wie man eine Steuererklärung richtig macht, wie Buchhaltung funktioniert und wie man sein Geld gut anlegt. Da Geld in unserer Gesellschaft das entscheidende Mittel ist, um alle Ziele zu erreichen, sollte es in der Gruppe jemanden geben, der gut damit umgehen kann.

• Handwerk: Jemand sollte ein Haus oder eine Wohnung in Schuss halten, mit entsprechendem Werkzeug Gegenstände herstellen oder reparieren können.
Dank dieser Kompetenz muss in vielen Fällen kein Handwerker gerufen werden, weil das nötige Fachwissen in der Gruppe vorhanden ist. Vor allem kann eine Reparatur so im Notfall sofort erfolgen und nicht erst dann, wenn man beim Handwerker einen Termin bekommt. In Krisensituationen ist dies sehr nützlich.
Auch das Ausbessern von Kleidung, die einen Riss bekommen oder einen Knopf verloren hat, zähle ich zu dieser Kompetenz.

• Technologie: Jemand sollte möglichst viel Ahnung von moderner Technologie haben, Computer und Smartphones gut bedienen, Heimautomatisierung programmieren können. Verstehen, was aktuelle Technologien können und zukünftige bringen werden, Ahnung von Logik und Mathematik haben.
Diese Kompetenz sorgt dafür, dass die Gruppe in einer sich ständig wandelnden Welt mithalten und Effizienzgewinne durch neue Technologien realisieren kann.

• Gesundheit: Jemand sollte Ahnung davon haben, wie der menschliche Körper funktioniert, wie man Körper und Geist gesund und fit hält, wie man erste Hilfe leistet.
Dank dieser Kompetenz sind die Mitglieder der Gruppe gesünder, und sie sind zufriedener mit ihrem Leben. Sie wissen, wann sie einen Arzt aufsuchen müssen statt ein Problem zu verschleppen, und bei einem medizinischen Notfall kann sofort jemand helfen.

• Essen: Jemand sollte gut kochen und backen können und wissen, wie man sich richtig und gesund ernährt. Falls die Gruppe einen großen Garten hat, dann sollte sich diese Person gut mit Nutzpflanzen auskennen, sie anpflanzen, ernten und verarbeiten können. Aus diesem Grund würde ich allgemein ein gutes Händchen für Pflanzen, welche Wohnung, Haus oder Garten begrünen, mit in diese Kompetenz zählen.
Sicher könnte man auch einfach alles Essen fertig einkaufen. Aber in der Praxis ist es weit preisgünstiger und gesünder, Nahrung selbst zuzubereiten. Je größer die Gruppe, desto besser ist das Verhältnis von Nutzen versus Geld- und Zeitaufwand für die Essenszubereitung.

• Harmonie: Jemand sollte gut zuhören, sich in andere hineinversetzen, Kompromisse finden und Streit schlichten können. Diese Kompetenz hilft der Gruppe enorm dabei, harmonisch zusammen zu leben und ihre Kinder gut und liebevoll zu erziehen.

• Sicherheit: Jemand sollte sich Sorgen um mögliche Gefahren machen, wissen, wie man sich auf solche Eventualitäten vorbereitet, und in Notfällen aller Art einen kühlen Kopf bewahren.
Diese Kompetenz sorgt dafür, dass die Gruppe auf schlechte Zeiten, Notfälle oder plötzliche Katastrophen möglichst gut vorbereitet ist.

Diese Auflistung und Einteilung ist ganz sicher nicht perfekt, und zu einem gewissen Grad auch willkürlich. Aber sie sollte völlig ausreichend sein, um eine gute Vorstellung von dem weiten Spektrum zu bekommen, welche Fähigkeiten alles nötig sind, um nicht viel Potential im eigenen Leben zu verschenken oder gefährliche Risiken einzugehen. Ich werde im Folgenden diese Auflistung von Kompetenzbereichen nutzen, um das Konzept der Familia zu erläutern. Das Konzept hängt aber in keiner Weise von dieser konkreten Einteilung ab.

Es gibt also eine sehr große Menge an Fähigkeiten, welche in jeder zusammen lebenden und wirtschaftenden Gruppe vorhanden sein sollten. Falls jemand allein als Single lebt, sollte er oder sie all dies selbst beherrschen (mit Ausnahme von Harmonie, die ist für Singles ohne Kinder verzichtbar...). Denn für jede dieser Fähigkeiten ist es weit teurer, aufwendiger oder unmöglich, sie nach Bedarf einzukaufen. Künstlerische Talente, die eine Gruppe bereichern, wie Musizieren oder Geschichten erzählen, habe ich hier noch gar nicht aufgelistet, genauso wenig wie gute Allgemeinbildung und Verständnis der Welt, um die Fragen der neugierigen Kinder beantworten zu können.
Niemand kann all diese Kompetenzen alleine abdecken. Und auch bei zusammenlebenden Paaren wird es die große Ausnahme sein, dass alle diese Bereiche gut abgedeckt sind. Es sind einfach zu viele verschiedene Fertigkeiten, für zu viele verschiedene Veranlagungen.

In einer Familia mit sechs erwachsenen Mitgliedern hingegen, welche bei jedem Neuzugang darauf geachtet hat, dass dieser möglichst viele der Familia noch fehlende Kompetenzen abdeckt: Ich denke, eine solche Gruppe hat sehr gute Chancen, dass am Ende nur noch wenige Lücken in dieser Anforderungsliste offen bleiben.

Natürlich sind diese Kompetenzbereiche nicht alle gleich groß. Es wird also nicht jedes Familiamitglied genau einen davon beherrschen, es können durchaus auch zwei oder drei Bereiche sein. Umgekehrt kann jemand nur in einem Teil eines Kompetenzbereiches gut sein, so dass sich dieser auf zwei Personen aufteilt: Vielleicht kann jemand anderes besser kochen als die Person, die weiß, wie man sich gesund ernährt. Oder jemand ist gut in den meisten Handwerksfähigkeiten, überlässt das Nähen aber jemand anderem. Oder jemand ist zwar gut im Umgang mit Kindern, nicht aber im Schlichten von Streit unter Erwachsenen.
Für jede dieser Kompetenzen, oder Teilbereichen davon, sollen sich auch nicht nur eine, sondern mindestens zwei Personen innerhalb der Familia zuständig fühlen. Wobei es reicht, wenn eine der beiden sie gut beherrscht und die andere hilft und in der Kompetenz besser werden möchte.
Womit wir beim Thema der Aufgabenverteilung und dem gemeinsamen Verbringen von Zeit angekommen sind.

Bevor ich jetzt beginne, die Rituale und Regeln einer Familia zu beschreiben, mit Begründungen dafür, warum man Dinge so oder anders machen sollte, will ich unbedingt betonen, dass es nur Vorschläge sind. Genauso wenig wie es die eine Kleinfamilie oder die eine WG gibt, die nach ganz bestimmten Regeln funktioniert, gibt es das für die Familia. Je nachdem, worauf sich eine Familia einigt, wird sie in vielen Dingen anders vorgehen als andere Familias.

Aber während sich jeder bei einer Kleinfamilie mit Garten und Hund, zwei Kindern und fairer Teilung der Hausarbeit etwas vorstellen kann, oder bei einer WG, die jede Woche einmal zusammen kocht und ihren Putzplan im Flur aushängen hat, beschreibe ich mit der Familia etwas völlig Neues. Da hier nicht Vorwissen die Lücken füllt, wenn ich die Idee nur mit wenigen Worten umreiße, muss ich stattdessen alles weit detaillierter beschreiben, um zumindest eine Variante aufzuzeigen, wie es funktionieren kann. Solange die Grundideen der Familia erhalten bleiben, gibt es bei der praktischen Umsetzung zahllose Möglichkeiten.
Hier male ich also eine konkrete Variante weiter, wie eine Familia ihre Aufgabenverteilung und das Verbringen gemeinsamer Zeit organisiert.

Es sollte unbedingt einen gemeinsamen Punkt im Tagesablauf der Familia geben, wo alle zusammen sind. Dafür bietet sich eine gemeinsame Mahlzeit an. Frühstück oder Abendbrot, je nachdem, wie die Arbeitszeiten der Familiamitglieder liegen. Dass jemand aufgrund eines anderen Termins einmal nicht am gemeinsamen Essen teilnehmen kann, ist erwartet und kein Problem. Aber es sollte für jeden Einzelnen die Ausnahme sein, so dass insgesamt an den meisten Tagen alle dabei sind.
Jemand, der Schichten arbeitet und daher regelmäßig nicht teilnehmen kann, wäre definitiv ein Problem. Vielleicht findet sich ein anderer, vielleicht auch wöchentlich wechselnder Zeitblock am Tag, zu dem alle gemeinsam Zeit verbringen können?
Andernfalls müsste die in Schichten arbeitende Person regelmäßig von jemandem erzählt bekommen, was in der Familia passiert, und ihr Feedback delegiert an diese Familiaversammlungen zurückgeben. Je nach Dynamik innerhalb der Familia, und je nach Charakter des Schichtarbeiters, mag das gut funktionieren oder überhaupt nicht. Falls nicht, braucht es andere Ideen als ich bisher habe, um Arbeitswelt und dieses Lebensmodell zusammenzubringen...

Bei diesen gemeinsamen Mahlzeiten erzählt jedes Familiamitglied kurz, was es erlebt hat, wie es ihm geht, worüber es sich Gedanken gemacht hat, wann es wo sein wird und so weiter. Vor allem wird jeder alles zur Sprache bringen, was die Familia als Ganzes betrifft: Anstehende und erledigte Aufgaben, Geldausgaben der Gemeinschaftskasse, Kontakte zu anderen, mögliche Probleme. Die Mahlzeit ist auch eine hervorragende Chance zum Wissensaustausch und für das gegenseitige Anbieten von Hilfe, wann immer jemand glaubt, einem anderen Familiamitglied gut helfen zu können.98

Es ist Aufgabe der Kompetenz Überblick, sich alles Relevante zu merken oder mitzuschreiben (und ggf. später zu digitalisieren).

Dieses Ritual darf nie wie eine Überwachungsmaßnahme wirken. All dies müssen Dinge sein, die jeder den anderen so oder so erzählen möchte. Weil zwischen allen Familiamitgliedern ein Vertrauensverhältnis besteht.
Wenn in einer Kleinfamilie ein Partner den anderen fragt: „Wohin gehst du?“ und der antwortet mit „Weg.“, dann ist diese Familie zerrüttet. Weil der eine dem anderen nicht von sich aus mitteilt, wohin er geht, und die Auskunft selbst auf Nachfrage verweigert. Es besteht also kein Vertrauensverhältnis mehr zwischen den beiden, und somit keine Grundlage für die Familie. Genauso ist es auch in der Familia. Fühlt es sich falsch an, den anderen diese Dinge zu erzählen, dann fehlt die Basis für alles.

Natürlich sollte es auch andere Zeiten und Aktivitäten geben, die die Familia zusammen verbringt. Seien es Film- oder Spieleabende, ein gemeinsames Hobby oder Ausflüge. Aber die tägliche gemeinsame Mahlzeit, bei welcher sich alle gegenseitig auf den aktuellen Stand bringen, ist der Dreh- und Angelpunkt des gemeinsamen Familialebens.

 

Es gibt eine bestimmte Menge an Aufgaben, die in der Familia erledigt werden müssen. Essen einkaufen und zubereiten, Kinder beaufsichtigen und unterstützen, die Wohnung sauber halten, das Geld verwalten, Reparaturen durchführen und so weiter.

Diese Aufgaben sollten, wann immer irgend möglich, von zwei Mitgliedern zusammen erledigt werden. Von zweien, die sich für den gleichen Kompetenzbereich zuständig fühlen, von zwei Kompetenzbereichen, die beide zur Aufgabenlösung beitragen, oder von einer Person aus dem Kompetenzbereich und einer zweiten Person, die Zeit hat mitzuhelfen.

Dass Aufgaben stets von zwei Familiamitgliedern zusammen angegangen werden, bringt viele Vorteile mit sich:

• Die verschiedenen Familiamitglieder verbringen dadurch viel mehr Zeit miteinander, als dies sonst der Fall wäre. Das hilft stark dabei, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen und zu erhalten.

• Dass die Familiamitglieder mehr Zeit mit Menschen verbringen, die sie mögen und denen sie vertrauen, sollte sie langfristig zufriedener machen. Menschen sind soziale Wesen, nur die wenigsten sind alleine auf Dauer glücklich.

• Es ist oft leichter sich zu motivieren, wenn man nicht alleine arbeitet.

• Wenn jeder jede Aufgabe einmal erlebt, dann vermeidet das Konflikte: So lernt jeder, wie viel Zeit und Mühe die Aufgabe bedeutet, und wertschätzt ihre Erfüllung entsprechend.

• Es vermeidet Streit darüber, ob Arbeit tatsächlich gut und richtig geleistet wurde (auch wenn es bei gutem Vertrauensverhältnis nicht passieren sollte, ist es besser, diese Belastung von vornherein zu vermeiden).

• Wenn beide mitdenken, können viele dumme Fehler vermieden werden.

• Wird eine Aufgabe von zwei Familiamitgliedern im gleichen Kompetenzbereich erledigt, dann können die beiden bei der Umsetzung voneinander lernen. Dadurch wird auch eine Redundanz aufgebaut, sollte eine dieser beiden Personen einmal nicht verfügbar sein. Auch ohne doppelte Kompetenz wird eine gemeinsame Aufgabenerfüllung stets zu Wissensvermittlung führen.

• Es steigert langfristig die Effizienz. Dadurch, dass jeder jede Arbeit einmal erlebt, bekommt auch jeder die Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie man die Arbeit effizienter gestalten oder automatisieren könnte. Dies schafft auch eine fundierte Grundlage für Familiadiskussionen über die Aufgaben.

• Sind für eine Aufgabe zwei Kompetenzbereiche nützlich, dann wird sie durch die Zusammenarbeit deutlich besser umgesetzt werden können, als dies ohne diese gebündelten Fertigkeiten möglich wäre.

• Es vermittelt jedem Familiamitglied das Gefühl der Wertschätzung auf dem Gebiet, auf dem es gut ist, und spornt dazu an, solche Kompetenzen zu finden und auszubauen.

 

Beispielrechnung für die Erledigung einer Aufgabe (wie das Kochen einer Mahlzeit) für alle Mitglieder der Familia, im Vergleich zu Single und Kleinfamilie:

 

Single

Kleinfamilie

Familia

Anzahl Erwachsene

1

2

6

Umfang der Aufgabe

1

2

6

nötige Arbeit

100%

80%

67%

Gesamtaufwand

1

1,6

4

Arbeitende an Aufgabe

1

1

2

Zeit pro Person

1

1,6

2

 

Die nötige Arbeit ist dabei geraten. Sie ist der Prozentwert des Aufgabenumfangs, der tatsächlich an Arbeitszeit investiert werden muss, um die Aufgabe zu erledigen.
Übernimmt man eine Aufgabe für die ganze Gruppe (kocht also z.B. mehr auf einmal), dann wird man dabei immer effizienter sein (der Prozentwert der nötigen Arbeit ist niedriger), als wenn man es als Single nur für sich allein erledigt.
Einige Teile der Aufgabe bleiben sogar gleich, wenn man sie für mehrere auf einmal erledigt, z.B. der Fahrtweg zum Lebensmitteleinkauf. Wie viel weniger an Arbeit nötig ist, wenn die Aufgabe für die ganze Gruppe auf einmal erfüllt wird, wird sich von Aufgabe zu Aufgabe und auch von Person zu Person unterscheiden.

Der Umfang der Aufgabe ist für den Single auf 1 normiert und seine nötige Arbeit auf 100%. Der Gesamtaufwand zur Erfüllung der Aufgabe ist: „Umfang der Aufgabe“ x „nötige Arbeit“.
Teilt man dieses Ergebnis durch die Zahl der an der Aufgabe arbeitenden Personen, erhält man die nötige Arbeitszeit pro Person.99

Diese Rechnung zeigt unter anderem, dass die Zeit, welche pro Person für die Aufgabenlösung benötigt wird, in der Familia, trotz Zusammenarbeit und Effizienzsteigerung, immer noch höher ist als für einen Single oder in einer Kleinfamilie. Was bedeutet, dass alle Nachteile, welche, neben den Vorteilen, durch die paarweise Zusammenarbeit entstehen (z.B.: zwei Personen müssen zum Supermarkt und wieder zurück), immer durch die sich aus dem größeren Gesamtumfang der Aufgabe ergebende höhere Effizienz überwogen werden.
In vielen Fällen werden die beiden ja auch nicht exakt das Gleiche tun, sondern die Aufgabe untereinander aufteilen: Einer schneidet das Gemüse klein, der andere sammelt die Zutaten und rührt im Topf alles zusammen.

 

Wie werden die Aufgaben verteilt? Und wie wird dabei dafür gesorgt, dass es fair ist für alle?

Das ist ein Problem, das auch Teams in Unternehmen ständig haben. Und auch wenn eine Familia etwas anderes ist als ein Team in einem Unternehmen, heißt das nicht, dass man sich von einem erfolgreichen Konzept nicht inspirieren lassen kann. Das Konzept, das hier als Inspiration dient, nennt sich Scrum.

Die Aufgabenverteilung findet regelmäßig statt (ich schlage vor, einmal je Woche nach der gemeinsamen Mahlzeit). Oft genug, dass die Aufgabenmenge jedes Mal überschaubar ist und man in kurzen Zyklen reagieren kann. Aber lang genug, dass der Organisationsaufwand nicht zu hoch ist, weil man ständig damit beschäftigt ist, die Prozedur der Aufgabenverteilung zu durchlaufen.

Die Verteilung der Aufgaben wird zunächst von den Kompetenzen Überblick und Harmonie zusammen vorbereitet. Die Kompetenz Überblick stellt zusammen, was alles in nächster Zeit erledigt werden sollte (mit einem Vorschlag, zu welchem Kompetenzbereich das jeweils gehört), wer schon lange nicht mehr zusammen gearbeitet und wer in letzter Zeit wie viel beigetragen hat.

Die Kompetenz Harmonie passt die Liste der anstehenden Aufgaben anhand dessen an, was einem guten Familiaklima zuträglich ist. Erhebt also Einspruch, falls die Aufgabenmenge bereits zu groß ist, oder fügt neue Aufgaben hinzu, deren Ergebnis allen gut tun würde (z.B. eine Wohnungsverschönerung). Sie ergänzt Wünsche, wer im nächsten Zyklus zusammen arbeiten sollte, vielleicht auch mit Angabe einer konkreten Aufgabe oder einer Einschränkung wie „nicht in Kompetenz Handwerk“. Dass zwei bestimmte Personen zusammen arbeiten, kann entweder zur Lösung bestehender Konflikte beitragen, sich anbahnende Probleme vermeiden oder auch einfach eine Chance darstellen, dass sich das Vertrauensverhältnis zwischen zwei Personen vertieft.

Zu guter Letzt legen die beiden aufgrund der vorhergehenden Arbeitszeiten der Familiamitglieder fest, wer diesen Zyklus wie viel mehr oder weniger arbeiten sollte. Schließlich kann es im letzten Zyklus durch spontan hinzugekommene Aufgaben, durch Aufgaben, die deutlich umfangreicher waren als gedacht, oder durch nicht durchführbare Aufgaben zu einem Ungleichgewicht gekommen sein. Das sollte wieder ausgeglichen werden, damit es fair für alle bleibt.

Die Aufgabenverteilung findet dann nach der gemeinsamen Mahlzeit statt. Dabei stellen Überblick und Harmonie zunächst die Liste der Aufgaben vor. Diese Aufgaben werden von allen zusammen mit Zeitschätzungen oder Aufgabenpunkten versehen (ich werde in der weiteren Beschreibung von Aufgabenpunkten sprechen), um sie in ihrem Umfang und ihrer Komplexität zu bewerten.100 In Scrum ist es dafür beliebt, die Aufgaben auf Karteikarten zu schreiben (vielleicht mit verschiedenen Farben für verschiedene Kompetenzen?) und mit Magneten an einer Tafel nach ihrem Umfang anzuordnen. Für Routineaufgaben, die immer wieder anstehen, wird dies normalerweise offensichtlich sein. Andere Aufgaben müssen erst einmal kurz besprochen werden, damit alle eine Vorstellung von der Aufgabe bekommen und ihr dann einen Umfang zuordnen können. Falls nötig, kann auch die Kompetenz der Aufgabe angepasst werden (falls zum Beispiel eine zweite zusätzliche Kompetenz sehr nützlich bei der Umsetzung wäre).

Es kann auch sein, dass eine bestimmte Aufgabe als unnötig oder als zu viel für diesen Zyklus aus der Aufgabenliste fliegt, oder dass eine weitere Aufgabe der Liste hinzugefügt wird, die Überblick und Harmonie nicht bedacht hatten.
Die beiden teilen mit, wie ungleichmäßig die Aufgaben verteilt werden sollten (zum Beispiel: Tim und Sarah sollten sich diese Woche 3 Punkte weniger an Aufgabenpunkten nehmen, schließlich haben sie sich letzten Zyklus zusätzlich um den Wasserrohrbruch gekümmert). Zu guter Letzt äußert Harmonie noch ihre Wünsche, wer diesen Zyklus zusammen an einer Aufgabe arbeiten sollte.

Sobald die bewertete Liste der Aufgaben fertig zusammengestellt ist, geht es an die eigentliche Aufgabenverteilung. Das kann zum Beispiel passieren, indem sich reihum jeder eine Aufgabe aus der Liste auswählt, und entweder einen Wunschpartner nennt oder fragt wer gerne mitmachen möchte. Da aufgrund der gemeinsamen Mahlzeiten jeder etwa weiß, wer wann Zeit hat, sollte für alle gut abschätzbar sein, ob man leicht einen gemeinsamen Zeitpunkt findet, um die Aufgabe zu erledigen.

Indem die Gesamtaufgabenpunkte durch die Anzahl der Erwachsenen geteilt werden, ist jedem klar, wie viel an Aufgaben jedes Familiamitglied übernehmen muss. Das wird bei der Auswahl der Aufgaben natürlich entsprechend beachtet. Beispiel: 60 Punkte an Aufgaben, 6 Erwachsene, Tim und Sarah 3 Punkte weniger. Folglich sollten sich Tim und Sarah 8 Punkte an Aufgaben nehmen und die anderen vier jeweils 11 (da 2x8+4x11=60).

Dieses Vorgehen für die Aufgabenverteilung mag erst einmal kompliziert klingen. Es ist wie gesagt ja auch nur eine Möglichkeit, wie man das organisieren könnte. Ich schlage sie hier vor, da sie sich bereits bewährt hat und eine sehr effiziente Zeitnutzung darstellt, welche viele Ziele auf einmal erfüllt:

• Dadurch, dass alle zusammen entscheiden, welche Aufgaben tatsächlich erledigt werden sollen, von wem, und wie umfangreich diese sind, fühlt sich niemand übergangen und das Ergebnis wird besser und fairer, als wenn einzelne Familiamitglieder es diktieren.

• Dadurch, dass Überblick und Harmonie Aufgabenliste und Kompetenzen als Vorschlag einbringen, wird die gemeinsame Entscheidung simpler, was Zeit spart.

• Es entsteht hier eine gemeinsame ToDo-Liste - etwas, das auch unabhängig von Gruppenorganisation für die Organisation des eigenen Lebens empfohlen wird. Da eine Aufgabenverteilung so oder so nötig ist, ist es schön, den Vorteil mitnehmen zu können, dass nachher jeder klare Ziele hat, was diese Woche zu erledigen ist.

• Gleichzeitig mit der Verteilung der Aufgaben wird hier auch abgestimmt, wer im Rahmen dessen Zeit mit wem verbringt. Und Harmonie kann dies beeinflussen, damit die Beziehungen in der Familia so gut wie möglich sind.

• Jeder sieht, dass alle dabei mithelfen, die notwendigen Aufgaben zu erledigen. Und sieht gleichzeitig mit Zufriedenheit, wie klein der Anteil der eigenen Aufgaben an der Gesamtmenge ist (bei sechs Erwachsenen und paarweiser Arbeit 1/3).

• Jeder bekommt mit, welche Aufgaben sich die anderen Familiamitglieder vornehmen und mit wem sie dabei Zeit verbringen werden. Was wiederum dem Aufbau und Erhalt der Vertrautheit dient.

Wie viele Aufgaben verteilt werden, wird je nach Bedarf der Familia anders sein und sich von Woche zu Woche unterscheiden. Es geht hier ja nicht darum, Arbeitstage für Mitarbeiter zu füllen! Sondern einfach nur darum, alles, was für Familia und Haushalt nötig ist, effizient und gerecht auf alle Schultern zu verteilen.
Im Gegensatz zu Singles und Kleinfamilien ist die Aufgabenverteilung in der Familia ein deutlich komplexeres Problem. Setzt man sie schlecht um, kann hier viel oder alles der durch Arbeitsteilung und Spezialisierung gewonnenen Effizienz wieder verloren gehen. Es ist also sehr wichtig, dafür ein gutes Vorgehen zu finden, weswegen ich die mir am besten erscheinende Variante so ausführlich vorgestellt habe.

Welche dieser Aufgaben man erledigt hat und wo man auf Probleme gestoßen ist und nicht weiterkommt, ist Teil dessen, was man sich gegenseitig bei der täglichen gemeinsamen Mahlzeit erzählt.
Am letzten Tag des Zyklus, bevor am nächsten Tag neue Aufgaben verteilt werden, sollte bei der gemeinsamen Mahlzeit noch einmal auf die verteilten Aufgaben zurückgeblickt werden: Was hat geklappt, wo gab es Probleme, was ist liegengeblieben? Sollte etwas in Zukunft anders aufgeteilt oder anders angegangen werden? Wie gut hat die Zusammenarbeit der Partner geklappt? Wem haben bestimmte Fähigkeiten in einer Aufgabe gefehlt, wer hat etwas Neues gelernt?
Teilweise sind solche Dinge sicher an den Tagen zuvor bereits zur Sprache gekommen, aber es ist sinnvoll, noch einmal einen Blick auf das gemeinsam Erreichte zu werfen und zu reflektieren. Es hilft den Kompetenzen Überblick und Harmonie bei der Vorbereitung der nächsten Aufgabenverteilung, und es hilft der Familia insgesamt, die notwendigen Aufgaben mit so geringem Aufwand und so wenig Frust wie möglich zu erledigen.101

Hier eine Auflistung einiger Beispielaufgaben, der Kompetenzbereiche, die sich darum kümmern werden, und ein paar Worte zur Umsetzung:

• Vorbereitung der Aufgabenverteilung - Überblick und Harmonie: Das ist eine ganz normale Aufgabe, die Punkte wert ist und die sich jemand nehmen wird. Da in der Familia jeweils zwei Personen für jede Kompetenz zuständig sind, muss auch diese Aufgabe nicht immer von den gleichen zwei Personen übernommen werden!

• Lebensmitteleinkauf - Essen und Überblick: Zusammenstellung der Einkaufsliste nach geplanten Mahlzeiten, nach Gesundheit und nach Vorlieben der Mitglieder. Danach der tatsächliche Einkauf und das Einräumen der Lebensmittel. Die Arbeitsteilung macht den Großeinkauf für sechs Erwachsene plus Kinder viel besser beherrschbar.

• Reparaturen, Aufbau und Einrichtung - Handwerk und Technologie: Handwerkeraufgaben und Möbelaufbau wird die Kompetenz Handwerk übernehmen. Sobald Apps, Software, Konfiguration oder Programmierung involviert sind, ist die Kompetenz Technologie gefragt. In einigen Fällen sind für eine Aufgabe beide Kompetenzen nötig, in den meisten wird eine der beiden ausreichen. Viele Handwerksarbeiten sind zu zweit leichter, und eine zweite Person ist hier besonders nützlich, um arbeitsträchtige Fehler zu vermeiden.

• Notfallvorsorge - Sicherheit und Überblick/Gesundheit/Essen: Ob Wasserkanister, Lebensmittelvorräte, Erste-Hilfe-Sets oder Powerbanks. Alles, was die Familia auf Notfälle vorbereiten soll, fällt in die Kompetenz Sicherheit. Sie wird sich Überblick für Buchführung und Geldfragen hinzuziehen, Essen oder Gesundheit für alle Ernährungs- und Gesundheitsthemen.

• Kinderbetreuung - Harmonie: Harmonie hat die beste allgemeine Kompetenz für den Umgang mit Kindern in der Familia. Solange es die Aufgabenmenge der Person nicht übersteigt, sollte diese Kompetenz auch genutzt werden. Eine glückliche Kindheit ist ein hohes Gut an sich, und gut erzogene, vernünftige und fantasievolle Kinder machen das Familialeben für alle viel besser.
Die Aufgabe wird in Wochentage oder in Zeiträume unterteilt sein, so dass verschiedene Familiamitglieder zu verschiedenen Zeiten für die Kinderbetreuung zuständig sind. Die zweite Person wird sich mit ihren jeweiligen Kompetenzen einbringen, um den Kindern verschiedene Fertigkeiten zu vermitteln. So ist es zum Beispiel sehr viel wert, wenn jemand die „Warum?“ Fragen der Kinder mit kindgerechten Erklärungen beantworten kann - das ist leichter gesagt als getan! Außerdem ist es für die Kinder natürlich genauso wichtig wie für die Erwachsenen, zu allen Familiamitgliedern ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.
Zu guter Letzt ist es ein großer Vorteil, bei der Kinderbetreuung nie auf sich allein gestellt zu sein, so dass sich jederzeit einer der beiden um einen Notfall kümmern kann, während der andere für alle anderen Kinder da ist. Sollte es in einer Familia dagegen nur ein oder zwei Kinder geben, wird man hier vermutlich vom Prinzip der Paararbeit abweichen, wenn man keine Möglichkeit findet, es mit anderen Aufgaben zu kombinieren. Es ist einfach zu ineffizient, wenn sich ständig zwei Erwachsene um nur ein Kind kümmern.

• Haushalt - beliebig: Haushaltsaufgaben wie aufräumen, putzen und Wäsche waschen werden sich die Familiamitglieder nehmen, die wenig Aufgaben in ihren Kompetenzbereichen haben, deren Punkteanzahl also noch nicht gefüllt ist. Solche Haushaltsaufgaben sind oft recht monoton und können ohne viel Nachdenken erledigt werden. Die Arbeitsteilung hat ihren großen Vorteil hier also in der Motivation, sowie der Möglichkeit, sich nebenbei zu unterhalten und die Arbeit so leichter von der Hand gehen zu lassen.

Für den sozialen Kompetenzbereich „Kontakt“ gibt es wenig an konkreten Alltagsaufgaben. Das ist für die Aufgabenverteilung aber kein großes Problem. Die jeweilige Person hat sicher noch andere Fähigkeiten, außerdem kann sie natürlich allgemein im Haushalt mithelfen, sowie als zweite Person wo nötig unterstützen. Dies ist zum Beispiel bei allen Aufgaben sinnvoll, die Zusammenarbeit mit familiaexternen Personen erfordern. Konkrete Beispiele, wo dieser Kompetenzbereich gefragt ist, wird es in diesem Kapitel noch einige geben.

Eine gemeinsame Kinderbetreuung ist natürlich nicht von Geburt an möglich. In den ersten zwei Lebensjahren ist es extrem wichtig, dass die eigene Mutter als primäre Bezugsperson ständig verfügbar ist.[63] Für diese Zeit nach der Geburt sollte die Mutter also zu Hause bleiben und für ihr Baby da sein. Neben der ständigen Anwesenheit zur Festigung der Primärbindung auch für das Stillen und gemeinsame Schlafen.
Im Vergleich zur Kleinfamilie ist ein Vorteil der Familia während dieser Zeit, dass die Mutter, selbst falls sie nicht von zu Hause aus ihrem Beruf nachgehen kann, deutlich mehr tun kann als die Betreuung ihres eigenen Kindes und Haushaltsarbeiten. Ich habe ja gerade einige der Aufgaben aufgelistet, die innerhalb der Familia anfallen. Die Mutter kann also, je nach ihren eigenen Kompetenzen, weiterhin für die ganze Familia Aufgabenverteilungen vorbereiten, sich um Reparatur, Aufbau und Einrichtung von Geräten kümmern, Notfallvorsorge vorantreiben, andere Kinder betreuen und so weiter.
Umgekehrt übernehmen die anderen Familiamitglieder natürlich weiterhin ihren Teil der Familiaaufgaben. Insgesamt gibt es in einer Familia viel mehr an Flexibilität als in einer Kleinfamilie oder für eine alleinerziehende Mutter, die Aufgaben so zu verteilen, dass niemand überlastet wird.  Dass die Aufgabenmenge pro Person dank der höheren Effizienz der Familia deutlich kleiner ist, hilft dabei ungemein.
Außerdem unterstützen die anderen Familiamitglieder natürlich auch schon in diesen ersten zwei Lebensjahren bei der Betreuung des Babys und werden so zu sekundären Bezugspersonen für das Kind. Sobald es älter geworden ist, können sich dank der aufgebauten Vertrauensverhältnisse dann auch gut andere Familiamitglieder, ohne ständige Anwesenheit der Mutter, um das Kind kümmern.

Die gemeinsame Kinderbetreuung in der Familia hat sehr große Vorteile. Für die Kinder, die mit Geschwistern aufwachsen und so immer Spielkameraden haben. Die bessere Sozialkompetenz und Bindungen zu mehreren Vertrauenspersonen entwickeln, welche entspannter mit ihnen umgehen.
Für die Erwachsenen, für die nur ein geringerer Teil ihrer Zeit gezwungenermaßen durch Kinderbetreuung gebunden ist, die dadurch entspannter mit den Kindern der Familia umgehen und Kraft für andere Ziele haben.
Für die Familia insgesamt, deren sämtliche freie Kapazitäten eben nicht durch Kinderbetreuung gebunden sind. Stattdessen können zwei Erwachsene auf die Kinder acht geben, während die anderen vier am Abend zusammen oder getrennt ausgehen, oder einem Hobby nachgehen. Und am nächsten Tag wird getauscht (je nachdem, wer sich die Aufgabe für welche Wochentage genommen hat), so dass jeder freie Abende hat. Auch hier ist es sehr wichtig, dass das Vertrauensverhältnis zwischen allen Familiamitgliedern da ist, man eigene Kinder daher bedenkenlos einem anderen Familiamitglied anvertraut und sich diese Kinder dort genauso geborgen fühlen wie bei den leiblichen Eltern. Zum anderen ist hier wieder wichtig, dass jede Kompetenz zwei Mal in der Gruppe vorhanden ist und so auch die Kompetenz Harmonie kinderfreie Abende haben kann.

Die Gruppe sollte sich insgesamt einig darin sein, wer in welchem Kompetenzbereich am besten ist. Ich denke, es ist besser, wenn es keinen Anführer für alles in der Gruppe gibt. Entscheidungen, die nicht sofort gefällt werden müssen, können bei der täglichen gemeinsamen Mahlzeit besprochen und getroffen werden (mit Abstimmung, falls sich keine einstimmige Entscheidung erreichen lässt). Kann eine Entscheidung nicht solange warten, dann ist die Gruppe klein genug, dass es gut funktionieren sollte, wenn je nach Bereich jemand anderes die Führungsrolle übernimmt und Entscheidungen trifft. Hier ist es sehr nützlich, dass die Kompetenzbereiche etwas sind, das den Familiamitgliedern stets bewusst ist. Schließlich spielen sie bei der Aufgabenverteilung jedes Mal eine große Rolle. Wie bei so vielem ist auch hier Voraussetzung, dass sich alle gut untereinander kennen und einander vertrauen. Auch dann, wenn jemand anderes aus der Gruppe eine Entscheidung auf seinem Kompetenzgebiet fällt, deren Folgen man selbst nicht überblicken kann.