4. Allgemeines
4.3 Digitalisierung
Die Digitalisierung hat heute bereits große Teile unseres Alltags stark verändert. Auch unsere aktuellen gesellschaftlichen Systeme lassen sich an vielen Stellen mit Hilfe von Computern weit effizienter organisieren, als dies vorher möglich war. Ohne, dass an den grundsätzlichen Strukturen dafür etwas verändert werden müsste.
Ein Beispiel dafür ist, die Steuererklärung digital zu übermitteln, statt sie dem Finanzamt als Stapel Papier zukommen zu lassen. Die Abläufe sind exakt die selben. Aber dadurch, dass die Daten digital (Datei mit strukturierten Daten) statt analog (Papier) vorliegen, können große Teile der notwendigen Aufgaben automatisch vom Computer erledigt werden, anstatt dass sie ein Beamter händisch für jede einzelne Steuererklärung ausführen müsste.
Das Ergebnis davon ist dann ein schlankerer und schnellerer Verwaltungsapparat. Außerdem ist er günstiger (viel weniger Gehälter müssen gezahlt werden) und gerechter (solange gute Regeln festgelegt wurden - die Computerautomatik entscheidet nie willkürlich, sondern nur anhand dieser Regeln).
Bereits innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Systeme ist das Verbesserungspotential durch Digitalisierung enorm und wird nach und nach auch umgesetzt. Aber die gesellschaftlichen Systeme, in denen wir derzeit leben (Sozialsystem, Bildungswesen, Justizsystem, Regierung, ...), sind alle lange vor dem Beginn der Digitalisierung entstanden. So, wie die Digitalisierung bestehende Systeme enorm verbessern kann, eröffnet sie auch viele Möglichkeiten, die ohne sie gar nicht denkbar gewesen wären.
Da die Möglichkeiten der Datenübermittlung und -verarbeitung durch Computer in meinen Zukunftsvisionen eine große Rolle spielen werden, möchte ich hier einmal allgemein erklären, welch großes Potential Digitalisierung tatsächlich bietet, wenn man sie bereits beim Entwurf der Systeme mit einbindet.
Solange die Sammlung, Verarbeitung und Auswertung von Daten komplett automatisiert erfolgen kann, also ohne Arbeitszeit eines Staatsangestellten zu benötigen, sind ihre laufenden Kosten (Wartungskosten der Software, Betriebskosten der Server, Überwachung des Gesamtsystems) verschwindend gering. Systeme, die in analoger Form einen absurd hohen Aufwand bedeutet hätten, können in digitalisierter Form also plötzlich zur bestmöglichen Lösung für ein Problem werden!
Die wichtigsten Bausteine dieser Digitalisierung, die in meinen Zukunftsvisionen immer wieder auftreten werden, sind:
1. Wie die Daten in das Computersystem gelangen. Die Quelle können Daten sein, die vorher bereits gesammelt und abgespeichert wurden. Oder aus anderen Systemen abgerufene Daten. Die Quelle kann eine Anwendung sein, welche die Bürger benutzen, um mit dem Staat zu interagieren. Oder eine Anwendung, welche die Staatsangestellten einsetzen, um ihre Arbeit zu erledigen. Oder Sensoren, die irgendwo etwas messen. Oder Kameras, die ständig einen Ort filmen.
2. Nach welchen Regeln anhand dieser Daten Entscheidungen getroffen werden. Das ist der erste riesige Vorteil, den die Digitalisierung bietet: Solange ich klar formulieren kann, wie eine Entscheidung anhand dieser Daten zu treffen ist, kann dieser gesamte Entscheidungsprozess automatisiert ablaufen, ohne menschliches Zutun und Arbeitsaufwand. Es können beliebig große Datenmengen dazu herangezogen werden, und die Berechnung kann beinahe beliebig komplex sein, ohne dass dadurch spürbar höhere Kosten entstehen. Es ist lediglich die eine politische Entscheidung am Anfang, wie genau diese Entscheidungslogik aussieht. Zusätzlich muss es dann noch eine Überwachung auf Unregelmäßigkeiten geben (Programmfehler, Ausnutzung von Randfällen und Lücken) und eine Überwachung, ob das Ergebnis des gesamten Systems tatsächlich das gewünschte ist.
3. Die Nutzung von auf neuronalen Netzen basierender KI, um die Daten auszuwerten und Probleme zu bemerken. Dies ist ein sich zur Zeit extrem schnell verändernder Bereich, in welchem sich der Stand der Technik Jahr um Jahr deutlich verbessert. Es ist daher wenig sinnvoll, hier genau aufzulisten, was möglich ist und wie genau es funktioniert. KIs werden Jahr um Jahr besser darin, aus großen Datenmengen zu lernen, Schlussfolgerungen daraus zu ziehen und Prognosen über die zukünftige Entwicklung der Daten zu geben. Innerhalb der Daten eines digitalisierten gesellschaftlichen Systems können diese Erkenntnisse dann dafür genutzt werden, Betrüger zu entdecken, die Regeln zu verbessern, anhand welcher die automatisierten Entscheidungen getroffen werden, oder sich anbahnende Probleme frühzeitig zu bemerken. Es wird heute bereits viel gewarnt vor den Folgen von Datensammelwut und den daraus gewinnbaren Erkenntnissen. Aber wie jede andere Technologie ist auch diese nur ein Werkzeug. Natürlich kann damit viel Schaden angerichtet werden. Aber in den Händen eines verantwortlich handelnden Staates eröffnet sie auch ungeahnte positive Möglichkeiten.
4. Die Bereitstellung einer öffentlichen API* (Application Programming Interface). Eine API ist eine Schnittstelle, eine spezialisierte Sprache, mit welcher ein Softwaresystem von einer anderen Software angesprochen werden kann. Damit ist es möglich, die Daten, welche der Staat gesammelt hat, auf verschiedenste Weisen zu nutzen. Das ermöglicht zum Beispiel Firmen, NGOs (Nichtregierungsorganisationen) oder einzelnen Programmierern, alternative Anwendungen oder Apps anzubieten, um mit einem staatlichen System zu interagieren. Zum Beispiel, um eine Steuererklärung abzugeben. Es ist Aufgabe der API, für einen Schutz der Daten zu sorgen, so dass Zugriff und Veränderung nur möglich sind, wenn sich der Nutzer sicher identifiziert hat. Außerdem stellt sie sicher, dass die Daten nur sicher verschlüsselt übertragen werden. APIs verhindern, dass das staatliche Angebot eine Monokultur ist. Stattdessen setzt sich die beste Software durch, um mit dem System zu interagieren. Die Daten sind kein Silo, sondern lassen sich auch für andere Zwecke nutzen und mit anderen Daten kombinieren.
Wie wäre es mit einem (definitiv nicht ernst gemeinten) Beispiel?
Die Bürger haben eine Partei an die Macht gewählt, welche das Verschenken staatlicher Eiscreme als Lohn für Bewegung versprochen hat. Jeder Bürger soll an jedem Eisstand einmal pro Woche eine kostenlose Eiswaffel bekommen. Vorausgesetzt, der Eisstand hat einen Mindestabstand zu jedem anderen Eisstand, an welchem der Bürger in den letzten sieben Tagen eine kostenlose Eiswaffel bekommen hat. Das soll die Bürger dazu bewegen, mehr aus ihren eigenen vier Wänden herauszukommen, und sie glücklicher machen.
Der Staat stellt zwei Anwendungen (Apps) bereit (und entsprechende APIs, falls jemand alternative Software anbieten möchte). Eine App für die Bürger, die vom Staat bezahltes Eis essen wollen, und eine App für die Betreiber der Eisstände. In beiden Fällen muss sich der Nutzer bei der App anmelden, so dass der Staat den konkreten Bürger sicher zuordnen kann.
Die App für Betreiber von Eisständen: Stellt einen QR-Code* bereit, der ausgedruckt und am Eisstand angebracht werden kann. Der Betreiber hinterlegt in dieser App außerdem die GPS Position seines Eisstands und seine Kontodaten für Geldüberweisungen durch den Staat.
Die App für die Eisesser: In dieser App können sich die Bürger auf der Karte die Positionen teilnehmender Eisstände anzeigen lassen, und bei welchen Eisständen sie in den letzten sieben Tagen bereits ein kostenloses Eis bekommen haben.
Die App für die Eisesser hat eine Funktion, um den QR-Code eines Eisstandes über die Kamera des Smartphones einlesen zu können. Tut ein Bürger das, wird auf der App des Eisstandbetreibers angezeigt, dass dieser Kunde Anrecht auf ein Eis hat, und der Zähler für die Anzahl ausgegebener kostenloser Eiswaffeln steigt um 1. Der Eisstand gibt also das kostenlose Eis aus, und wird das Geld dafür (ein fixer Betrag für jede Eiswaffel) vom Staat auf sein Konto überwiesen bekommen. Und der Staat loggt mit, dass dieser Bürger zu diesem Zeitpunkt hier ein Eis bekommen hat, um entscheiden zu können, wann er wo ein kostenloses Eis bekommt (oder eben nicht). Zusätzlich können die Bürger in ihrer App auch bewerten, wie zufrieden sie mit dem Eis waren. Sind die Bewertungen im Durchschnitt zu niedrig, bekommt der Eisstand weniger oder gar kein Geld vom Staat. Das schützt vor Betrug, und es motiviert die Eisstände, möglichst gutes Eis anzubieten, freundlich zu sein und ein gutes Ambiente zu haben.
Und dann gibt es natürlich eine KI, welche sich die gesammelten Daten ansieht, auswertet und auf Unregelmäßigkeiten überprüft. Sie könnte zum Beispiel bemerken, dass ein Eisstand ständig seine GPS Koordinaten verändert - da ist bestimmt etwas faul. Oder dass das Kundenprofil eines Eisstandes völlig untypisch ist: Ist der Eisstand überhaupt da? Gibt er wirklich kostenloses Eis aus? Jeder Betrug wird zu Unregelmäßigkeiten in den Daten führen und kann somit von einer KI bemerkt werden.
Welcher Aufwand entsteht durch dieses neue gesellschaftliche System für den Staat? Die API und die Apps müssen erst einmal programmiert werden. Dann gibt es laufende Wartungskosten für die Server, auf welchen die API angeboten wird, und auf denen die Daten liegen und ausgewertet werden. Es entstehen Kosten für die Wartung der Apps. Es wird Servicemitarbeiter geben, welche von Eisstandbetreibern oder Bürgern kontaktiert werden können, falls es Probleme mit dem System gibt. Und es wird Mitarbeiter geben, welche sich durch die KI gemeldete Auffälligkeiten ansehen, beim entsprechenden Eisstand mal vorbeischauen, und gegebenenfalls Strafverfahren einleiten oder anderweitig auf Missbrauch des Systems reagieren.
Was es aber ganz entschieden nicht gibt, sind irgendwelche Prozesse, die für jeden Eisstand von einem Staatsangestellten durchgeführt werden müssen. Es ist keine Genehmigung dafür notwendig, dass der Eisstand kostenloses Eis anbieten kann (um die normalen Genehmigungen für einen Eisstand geht es hier nicht, daran ändert das Konzept nichts). Kein staatlicher Mitarbeiter muss händisch Bankdaten oder GPS Position hinterlegen. Kein staatlicher Mitarbeiter muss das Geld an den Betreiber des Eisstandes überweisen. Es ist keine regelmäßige oder auch nur einmalige Überprüfung notwendig, ob der Eisstand das kostenlose Eis tatsächlich verteilt (solange nicht aufgrund der KI ein Betrugsverdacht entsteht). In anderen Worten: Im Vergleich zu jedem möglichen analogen System kann die staatliche Verwaltung eines gut designten digitalen Systems um viele Größenordnungen effizienter sein.
Die Bausteine der Digitalisierung, die wir oben allgemein beschrieben hatten, sind hier konkret:
1. Die Daten kommen über die zwei Apps in das Computersystem des Staates. Der Zeitpunkt und Ort, an dem jeder QR-Code eingescannt wird, sind die entscheidenden Daten.
2. Der Algorithmus entscheidet anhand von zeitlichem und räumlichem Abstand, ob der Bürger das Eis bekommt. Und anhand der Zufriedenheitswertung, ob das Geld an den Betreiber überwiesen wird.
3. Es wird eine KI benutzt, um Probleme (z.B. Betrugsversuche) zu bemerken.
4. Es gibt eine API für alternative Software oder Integration in bestehende Software (z.B. in eine Wanderapp).
Dies war wie gesagt ein triviales, nicht ernst gemeintes Beispiel. Aber diese Konzepte lassen sich genauso gut auf ernsthafte gesellschaftliche Systeme anwenden.
Damit sind alle wesentlichen Begriffe erklärt und alles Rüstzeug bereit gelegt, um mit dem Entwurf konkreter Zukunftsvisionen beginnen zu können.