10. Staat

10.2 Konzept

(Für jeden der hier neu eingeführten Begriffe findet sich im Glossar „Staatskonzept“ eine kurze Definition als Gedankenstütze.)

Kommen wir jetzt zu meinem tatsächlicher Vorschlag.
Ich gliedere den Staat in zwei Ebenen: Den Zentralstaat und die Gemeinschaften. Der Zentralstaat besteht aus den drei bekannten Staatssäulen Exekutive, Legislative und Judikative.

Die Gemeinschaften sind der Bereich, in dem es Evolution und Wettbewerb geben wird. Sie sind die erste Hälfte dessen, was mein Konzept von bestehenden Staaten radikal unterscheidet.
Jeder Bürger ist Mitglied des Zentralstaates, seine Gesetze gelten für alle Bürger. Zusätzlich ist jeder Bürger Mitglied genau einer Gemeinschaft, womit für jeden Bürger auch die Regeln genau einer Gemeinschaft gelten.

Was also ist eine Gemeinschaft?

Das kann jede Gemeinschaft für sich selbst definieren! Es wird eine Nullgemeinschaft geben, die gar nichts macht. Sie verlangt von ihren Mitgliedern nichts, und sie bietet ihnen nichts. Ich glaube nicht, dass viele Bürger dies für sich als die beste Lösung sehen werden. Wer aber überzeugt davon ist, in einer Anarchie oder einem libertären Staat am besten leben zu können, der wird durch Zugehörigkeit zur Nullgemeinschaft die Möglichkeit haben, dass für ihn nichts anderes als die Gesetze und Steuern des Zentralstaates gelten.

Die meisten Menschen werden willens sein, zusätzliche Kosten in Form von Beiträgen, Steuern oder Regeln zu akzeptieren, um im Gegenzug von ihrer Gemeinschaft Leistungen und ein Sicherheitsnetz geboten zu bekommen. So, wie wir heutzutage freiwillig Versicherungen abschließen oder freiwillig Beiträge an einen Verein bezahlen.

Die Gemeinschaften bilden in ihrer Gesamtheit die Legislative, die Gesetzgebung des Zentralstaates. Der Einfluss jeder Gemeinschaft ist dabei proportional zu ihrer Mitgliederzahl. Gemeinschaften sind also in etwa mit Parteien und ihren Ergebnissen bei der Bundestagswahl vergleichbar. Nur dass die Bürger eben nicht einfach eine politische Entscheidung treffen, welcher Partei sie diesmal ihre Stimme geben wollen. Stattdessen entscheiden sich die Bürger mit ihrer Gemeinschaft dafür, unter welchen Regeln sie leben. Denn jede Gemeinschaft kann ihren Mitgliedern - in den von der Verfassung vorgegebenen Grenzen - vorschreiben, welche Regeln für sie gelten. Um die Erklärung verständlicher zu gestalten, werde ich alle Vorgaben der Gemeinschaften an ihre Mitglieder „Regeln“ nennen, alle Vorgaben des Zentralstaates „Gesetze“ (oder „Zentralgesetze“).

Diese Regeln der Gemeinschaften gelten zusätzlich zu allen Gesetzen des Zentralstaates und dürfen diesen nicht widersprechen.

Keine Gemeinschaft darf ihren Mitgliedern den Austritt verwehren. Aber Gemeinschaften dürfen willkürliche Bedingungen stellen, unter denen sie neue Mitglieder aufnehmen. Eine Gemeinschaft kann Mitglieder ausschließen (diese kommen dadurch in die Nullgemeinschaft, bis sie von einer anderen Gemeinschaft aufgenommen werden).

Die Gesetze des Zentralstaates gelten immer, auf dem gesamten Staatsgebiet. Die Polizei des Zentralstaates hat überall das Recht, diese Gesetze durchzusetzen. Welche Gemeinschaftsregeln dagegen gelten, und wie diese durchgesetzt werden, hängt davon ab, welcher Gemeinschaft man selbst angehört, und wer den Boden gepachtet hat, auf welchem man sich aktuell befindet.

Der Staat wird Grundstücke nur verpachten, nicht verkaufen. Ich gehe davon aus, dass in diesem Staat das komplette Konzept aus Kapitel „9.5 Grundbesitz“ umgesetzt ist. Dann gibt es fünf verschiedene Bodentypen: Stadt (S), Angebunden (A), Landwirtschaft (D), Naturbelassen (N) und Infrastruktur (I).

Boden, den die Gemeinschaft oder ihre Mitglieder gepachtet haben und welcher keine Stadt ist (Typ A oder D), wird als Gemeinschaftsland bezeichnet. Auf diesem darf die Gemeinschaft eigene Polizei einsetzen, welche die Gemeinschaftsregeln mit Zwang durchsetzt. Auf Gemeinschaftsland teilen sich also Zentralpolizei und Gemeinschaftspolizei das Gewaltmonopol.

Gegenüber Mitgliedern anderer Gemeinschaften (oder Mitgliedern, die ihren Austritt verkünden) ist Gemeinschaftspolizei darauf beschränkt, sie vom Gemeinschaftsland zu eskortieren und Zutrittsverbote auszusprechen - deren Einhaltung dann aber auch von der Zentralpolizei überwacht wird.

Die Verpachtungsregeln begünstigen, dass ein einzelner Pächter, hier eine Gemeinschaft, ein gegründetes Dorf oder Industriegebiet komplett kontrollieren kann und somit einheitlich gleiche Regeln für alle gelten. Dies ermöglicht es Gemeinschaften, eigene gesellschaftliche Konzepte umzusetzen, die voraussetzen, dass sich alle in einem Gebiet an dieselben Regeln halten (sie kann jeden verbannen, der es nicht tut). Damit können Gemeinschaften als ein Experimentierraum für räumliche Gesellschaftsentwürfe fungieren. Funktioniert etwas herausragend gut, wird es von anderen Gemeinschaften, und möglicherweise sogar vom Zentralstaat, übernommen werden.

In Städten, auf von Unternehmen gepachtetem Boden, sowie auf Boden, welchen der Staat nicht verpachtet hat, hat nur der Zentralstaat das Gewaltmonopol. Das bedeutet, dass nur die Einhaltung von Gesetzen erzwungen wird.
Gemeinschaftsregeln gelten für ihre Mitglieder aber natürlich trotzdem. Mit der Drohung des Ausschlusses können Gemeinschaften ihre Mitglieder stets zur Einhaltung ihrer Regeln zwingen, auch ohne dass Gemeinschaftspolizei anwesend ist. Aber allen anderen Bürgern können solche Regeln außerhalb von Gemeinschaftsland egal sein.

Da es gut möglich ist, dass bestimmte Bürger bestimmte Gebiete nicht betreten dürfen (da es von der pachtenden Gemeinschaft verboten wurde), ist es wichtig, dass es mit Städten und der sie verbindenden Infrastruktur ein Gerüst aus Gebieten gibt, welche stets für jeden zugänglich sind. Dadurch, dass sich Mitglieder verschiedener Gemeinschaften hier immer treffen können, dienen Städte als die Schmelztiegel des gesamten Staates.

Das Ziel ist es hier also, den Gemeinschaften größtmögliche Freiheit zu geben, das Leben ihrer Mitglieder so zu gestalten, wie sie es für richtig halten. Und dabei dennoch einen funktionierenden Zentralstaat zu haben, mit Gesetzen, die auch durchgesetzt werden.

Als Gegenpol zu den weitreichenden Rechten der Gemeinschaften garantiert die Verfassung jedem Bürger die Möglichkeit, mit den Füßen abzustimmen und die Gemeinschaft mit minimalem Aufwand zu wechseln.

Was den Gemeinschaften neben dem Recht, ihre Regeln mit eigener Polizei durchzusetzen, Verfassungsrang einräumt, und von jedem Bürger die Mitgliedschaft in exakt einer Gemeinschaft verlangt, ist ihre politische Entscheidungskraft. Jede Gemeinschaft beeinflusst den Staat in ihrer Gesamtheit, mit einer einheitlichen Meinung, in Abhängigkeit von der Zahl ihrer Mitglieder.
Wie diese Meinung zustande kommt, ist dabei jeder Gemeinschaft selbst überlassen.

Gemeinschaften sind der Basisgedanke dieses gesamten Staatskonzeptes. Der Zentralstaat enthält, was unbedingt für den gesamten Staat einheitlich geregelt sein muss, sowie alles, von dem mindestens 60% des Gesamtstimmgewichts der Gemeinschaften überzeugt sind, dass es auf eine bestimmte einheitliche Weise auf Zentralstaatsebene geregelt sein soll. Das ist eine hohe Hürde! Der ganze Rest von dem, was wir uns normalerweise unter dem Begriff „Staat“ vorstellen, wird den Gemeinschaften überlassen.

Es wird also stets gleichzeitig verschiedene Ansätze dafür geben, wie die Gemeinschaften diese Staatsaufgaben umsetzen, und was überhaupt als Aufgabe des Staates oder der Gemeinschaft angesehen wird. Die Gemeinschaften konkurrieren untereinander um Mitglieder, wodurch ein Entwicklungsdruck entsteht, der dazu führt, dass sich die besten Lösungen durchsetzen. Im Vergleich zu bestehenden Nationalstaaten, die ja auch miteinander konkurrieren, wo den Bürgern ein Staatswechsel aber so gut wie unmöglich ist, ist dieser Entwicklungsdruck um Größenordnungen effektiver.

Das heißt, solange man den Zentralstaat mit seiner Verfassung richtig entwirft, braucht es für all die Probleme, welche den Gemeinschaften überlassen sind, keine perfekten Lösungen! Was auch die Verfassung deutlich kürzer und einfacher machen wird.
Stattdessen können die Gemeinschaften mit verschiedenen Ansätzen, gesellschaftlichen Konzepten und Systemen experimentieren, und die besten werden sich durchsetzen. Genauso, wie heute der Kapitalismus durch den Wettbewerb des Marktes für immer bessere Konsumgüter sorgt, werden Gemeinschaften für immer bessere gesellschaftliche Systeme sorgen. Eine Art von Wettbewerb, der aktuell für gesellschaftliche Systeme nicht existiert.

Die Effizienzunterschiede zwischen verschiedenen Varianten gesellschaftlicher Systeme können dabei riesig sein. Wir reden hier von einem Faktor von 10 und mehr, nur zwischen der Effizienz bestehender westlicher Demokratien in bestimmten Bereichen![51]
Das ist das Potential, welches wir durch Gemeinschaften und den so ausgelösten Evolutionsdruck heben können.

Der Zentralstaat regelt, wie Gemeinschaften miteinander und mit dem Zentralstaat interagieren, wann die Regeln welcher Gemeinschaft gelten, wie Widersprüche verhindert werden, wo das Gewaltmonopol liegt. Und wie den Bürgern garantiert wird, dass sie jederzeit die Gemeinschaft wechseln können, welcher sie angehören.

Einer der vielen Belange, in denen es jeder Gemeinschaft selbst überlassen ist wie sie ihn regelt, ist ihre interne Entscheidungsfindung. Wie sie sich selbst regiert, wie sie die Regeln für ihre Mitglieder festlegt, wie sie sich im Gesetzgebungsverfahren des Zentralstaates verhält: All diese Dinge kann jede Gemeinschaft auf ihre Weise entscheiden. Das muss nicht demokratisch geschehen, geschweige denn den Gepflogenheiten einer repräsentativen Demokratie entsprechen.

Es gibt so viele verschiedene Wege, wie eine Gemeinschaft aufgebaut sein kann, wie und ob ihre Mitglieder an der Entscheidungsfindung beteiligt werden. Den Gemeinschaften steht es völlig frei, jede von ihnen auszuprobieren und damit um Mitglieder zu werben. Das kann eine direkte Demokratie sein, mit ständigen Bürgerentscheiden. Ein Philosophenkönig, der anhand bestimmter Qualifikationen ausgewählt wurde und sich dafür Einschränkungen unterwirft. Vertreter können durch Losverfahren ausgewählt werden. Es kann eine Rätedemokratie sein, in der jede Gruppe Vertreter in die nächst höhere Ebene entsendet. Eine Oligarchie, in welcher die Sitze meistbietend versteigert werden. Eine Diktatur. Eine klassische parlamentarische Demokratie, mit gewählten Vertretern in einem Parlament. Eine KI Regierung, wo bei Gemeinschaftsgründung die Zielfunktion der KI festgelegt wurde und alle weiteren Entscheidungen dann von dieser KI getroffen werden. Eine Gemeinschaft, welche ihre Entscheidungen anhand der Ergebnisse von Prognosemärkten80 trifft. Oder eine von unzähligen Kombinationen davon. Oder eine ganz andere Möglichkeit, vielleicht sogar eine, die bisher noch von niemandem erdacht worden ist.

Eine zentrale Wette dieses Staatskonzeptes ist, dass Gemeinschaften gute Entscheidungsstrukturen benötigen, um ihren Mitgliedern effiziente, gut funktionierende gesellschaftliche Systeme bieten zu können. Dass Gemeinschaften, die das bieten, dank zufriedener Mitglieder erfolgreicher sind (gemessen an ihrer Mitgliederzahl). Und dass gute Entscheidungsstrukturen mit durchdachten Entscheidungen auf Zentralstaatsebene einhergehen.

 

Die zweite Hälfte dessen, was mein Konzept eines Staates radikal von bestehenden Staaten unterscheidet, ist die Nutzung einer Blockchain.

Die Blockchain ist die technologische Grundlage, auf der Bitcoin, Etherium und andere digitale Währungen basieren. Da sie für Geld im Einsatz ist, wurde diese Technologie sehr gründlich auf Schwachstellen abgeklopft. Natürlich ist es immer noch Software. Auf die Probleme, Software als notwendigen Teil eines Regierungssystems einzusetzen, habe ich zu Beginn dieses Kapitels hingewiesen. Der Unterschied bei der Blockchain ist, dass diese aufgrund ihrer Architektur weitaus robuster ist als reguläre Software.81 Robustheit in vielen Dimensionen ist ihre entscheidende Innovation und der Grund dafür, dass sie sich für digitale Währungen durchsetzen konnte.

Normale Bürger werden nur sehr wenig mit dieser Blockchain interagieren müssen82: Lediglich bestimmte öffentliche Daten wie die Gemeinschaftszugehörigkeit muss dort von jedem Bürger hinterlegt werden. Anders als in einer durch Software ermöglichten direkten Demokratie ist hier also nicht die Bedienoberfläche ausschlaggebend dafür, ob der Staat funktioniert. Stattdessen funktionieren staatliche Prozesse wie die Gesetzgebung dank der Blockchain auf bessere Weise als ohne dieses Werkzeug.

Um das Konzept technologieunabhängig zu beschreiben, benutze ich für die Blockchain ab jetzt den Begriff „öffentliches Register“ (oder nur „Register“). Denn das ist genau das, was uns eine Blockchain bereitstellen kann: Ein öffentliches Register, eine öffentliche Informationsquelle mit dazugehörenden Rechenalgorithmen, mit garantierten Eigenschaften. Diese Eigenschaften sind Dezentralität, Fälschungssicherheit und Historisierung*. Als Folge dieser Eigenschaften ergeben sich Ausfallsicherheit und Nachvollziehbarkeit der staatlichen Prozesse, die wir auf diesem öffentlichen Register abbilden. Dadurch, dass wir bestehende manuelle staatliche Prozesse durch automatisierte Lösungen ersetzen, bekommen wir noch Effizienz und Geschwindigkeit als neue Merkmale dazu.

Folgende Teile des Staates werden wir über das öffentliche Register abwickeln: Den gesamten Gesetzgebungsprozess (die Legislative), einen Teil der Judikative (Ernennung von Verfassungsrichtern, Urteile des Verfassungsgerichts, Gesetzeskanon) und einen Teil der Exekutive (Räte und ihre Abstimmungen).

Das bedeutet, dass wir für all diese Teilstücke des Zentralstaates die aufgezählten Eigenschaften erhalten. Was den Zentralstaat schneller, effizienter, sowie widerstandsfähiger gegen Fälschung, Bestechung, Störung und andere Angriffe macht.
Ein solches Register ist also weit besser, als einfach irgendwo irgendwo Regierungsgebäude zu haben, mit Beamten, Archiven und zentralen Datenbanken, die diese Abläufe manuell oder klassisch digitalisiert durchführen. Auch klassisch digitalisierte Abläufe können schnell und effizient sein. Aber eine zentrale Datenbank erfüllt keines der anderen Merkmale des öffentlichen Registers, sondern wäre im Gegenteil anfälliger für Manipulationen als analoge Prozesse (da nicht nachvollziehbar).

So, wie diese Beamten mit ihren Aktenstapeln in einem sehr realen Sinn der Staat sind, so ist in unserem Fall in entscheidender Weise das Register der Staat. In anderen Worten: Durch den Einsatz der Blockchaintechnologie bekommen wir einen Staat, der dezentral, fälschungssicher, historisiert, ausfallsicher und in seinen Prozessen nachvollziehbar ist. Und ein solch widerstandsfähiger Staat, das ist etwas extrem Wünschenswertes!

In diesem öffentlichen Register wird jeder gegen geringe Gebühr beliebig viele Accounts (Benutzerkonten) anlegen und beliebige Daten veröffentlichen können. Diese Accounts können von Personen, Gemeinschaften, Firmen, Vereinen, von wem auch immer, angelegt und verwaltet werden. Vergleichbar zu E-Mailpostfächern, wo ja auch jeder beliebig viele Benutzerkonten und E-Mailadressen haben kann, und niemand kontrolliert, wer diese anlegt. Diese Accounts können von anderen Accounts veröffentlichte Daten bestätigen und anderen Accounts ihr Vertrauen aussprechen. Dies wird vom Zentralstaat und den Gemeinschaften genutzt werden, um verlässliche Daten zu erzeugen, vor allem in den Bürgeraccounts. Bürger und Institutionen können es auch unabhängig davon nutzen, um Vertrauensnetzwerke aufzubauen.

Mit Ausnahme kleiner Kinder wird jeder Bürger in diesem Register einen Bürgeraccount haben, welchen er selbst verwaltet und für welchen das Register anhand der Staatsbürgernummer Einmaligkeit sicherstellt. In diesem veröffentlicht er neben seiner Staatsbürgernummer weitere vom Zentralstaat bestätigte Daten wie seinen Namen und sein Geburtsdatum, und die von seiner Gemeinschaft bestätigte Gemeinschaftsmitgliedschaft. Dieser Account stellt für die Bürger ihren digitalen Personalausweis dar.

Jede Gemeinschaft wird im Register ebenfalls einen eigenen Account haben, um ihren Mitgliedern diese Bestätigung geben zu können und damit das Register die Stimmgewichte der Gemeinschaften berechnen kann.
Es ist dabei ein enormer Vorteil, dass das Register fälschungssicher und nachvollziehbar ist. Dadurch braucht es keine andere zentrale staatliche Stelle, der wir vertrauen müssen, diese Werte korrekt zu berechnen. Jeder kann sie anhand der öffentlichen Daten des Registers selbst überprüfen. Und weil diese Berechnungen billig sind, werden sie täglich statt alle vier Jahre durchgeführt, wodurch das ganze Politiksystem viel schneller auf Veränderungen reagiert.
Anhand dieser Stimmgewichte wird das Register die Durchführung von Abstimmungen (Beispiel: Stimmen die Gemeinschaften einem Gesetz zu?) und Entscheidungswahlen (Beispiel: Wer soll neuer Verfassungsrichter werden?) ermöglichen.

Als Entscheidungsgremium definiert die Verfassung zunächst eine Zentralgesetzgebung, welche Zentralgesetze erlässt. Jede Gemeinschaft hat hier Stimmgewicht entsprechend der Zahl ihrer Mitglieder83. Diese Zentralgesetze können dann weitere gesetzgebende Körperschaften (Legislative) und Räte (Exekutive) definieren (in Summe ab jetzt kurz „Körperschaften“ genannt).
Die Zentralgesetzgebung kann diesen neuen Körperschaften einen Teil ihrer eigenen Rechte überlassen, um in einem bestimmten Bereich Entscheidungen zu treffen und ihr so Arbeit abzunehmen. Die neuen Körperschaften können das Ganze bei Bedarf wiederholen, so dass eine ganze Kette untergeordneter Körperschaften entsteht (wobei Räte keine gesetzgebenden Körperschaften erschaffen können).
In all diesen Körperschaften erfolgen die Abstimmungen über die Gemeinschaften, nicht durch die Bürger. In gesetzgebenden Körperschaften direkt - in Räten, indem die Gemeinschaften Ratsmitglieder festlegen, welche bei Abstimmungen dann das Stimmgewicht der sie entsendenden Gemeinschaft haben.84

Jedes Mal, wenn über ein Gesetz oder eine Verordnung eine neue Körperschaft im Register definiert wird, beinhaltet das neben einer Beschreibungen seiner Aufgaben und Rechte eine sogenannte „Wichtung“. Das ist ein Filter dafür, welche Staatsbürger dieser Rat oder diese gesetzgebende Körperschaft vertritt. Das können zum Beispiel alle Einwohner einer Stadt sein. Diese Filterung geschieht anhand von im Personalausweis der Bürger hinterlegter Daten. Und sie bestimmt, welchen Einfluss jede Gemeinschaft in dieser Körperschaft hat. Hat eine Gemeinschaft in einer Stadt keine Mitglieder, dann wird sie in ihrem Stadtrat auch keinerlei Einfluss haben.

Das Register mit seinen effizienten und schnellen Berechnungen, zusammen mit der Zwischenschicht der Gemeinschaften, lässt dieses Konzept beliebig weit skalieren, ohne dass die Bürger durch ständige Wahlen überfordert würden.
Die Bürger entscheiden sich für die Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft. Die Gemeinschaft bestimmt, in welchem Maß sie die Bürger in Gesetzgebungsprozesse und Räte einbezieht.

Es muss auch nicht nur für räumliche Regionen Körperschaften geben. Falls neben dem Wohnort auch der Beruf in den Bürgeraccounts hinterlegt ist, könnte es beispielsweise eine gesetzgebende Kammer oder einen Rat der Ärzte oder der Lehrer geben, welche für ihren Berufsstand relevante Entscheidungen treffen.
Auch muss nicht jede Stimme gleich viel zählen. So könnte die Wichtung für einen Stadtrat jeden Bewohner der Stadt voll zählen und jeden Bewohner des Umlandes halb, da auch diese Dienstleistungen der Stadt in Anspruch nehmen, es aber nicht ihr Lebensmittelpunkt ist.

Abgesehen von der Zentralgesetzgebung mit seinen Zentralgesetzen, als Startpunkt für Legislative und Exekutive, gibt die Verfassung hier nichts Konkretes vor. Was immer 60% der Gemeinschaften über Zentralgesetze beschließen, baut das Räderwerk des Staates auf. Was vor allem bedeutet, dass es sich mit der Zeit wandeln kann, wann immer bessere Lösungen gefunden werden, ohne dass es dafür einen anderen Staat oder eine andere Verfassung bräuchte.

 

Nachdem das Werkzeug des öffentlichen Registers einmal aufgebaut wurde, wird es in dem Land für vielfältige Dinge benutzt werden, nicht nur für die in der Verfassung vorgegebenen. Die Bürger werden im Register auch andere Daten veröffentlichen als die zwingend verlangten. Zum Beispiel, dass sie bestimmte Module in der Schule abgeschlossen haben, also über bestimmtes Wissen verfügen (die Bestätigungen dafür werden genauso von den Schulen ausgegeben wie die analogen Pins). Die Accounts werden für die Identifikation gegenüber Webseiten, die sichere Verschlüsselung oder Signatur von Daten, die dauerhafte Veröffentlichung von Dokumenten genutzt werden. Hier setzt ein ähnlicher Netzwerkeffekt ein wie bei sozialen Netzwerken (Whatsapp, Facebook, ...): Da man sich darauf verlassen kann, dass jeder über einen solchen Account verfügt, wird es plötzlich zu einer guten Lösung für viele Probleme, da die Lösung für jeden funktionieren wird (so, wie fast jeder Whatsapp benutzt, weil man über Whatsapp fast jeden erreichen kann, weil fast jeder Whatsapp benutzt...).

Der Staat selbst wird ebenfalls mehr als die in der Verfassung definierten Anwendungen für dieses Werkzeug finden. Zum Beispiel, um von Ministerien signierte Dokumente zu veröffentlichen (als Analog zum Amtsblatt in Deutschland). Oder um Bauprojekte oberhalb einer Kostengrenze in einer Abstimmung von den Gemeinschaften bestätigen zu lassen. Oder um die Leiter von Ministerien von den Gemeinschaften über eine Personenwahl wählen zu lassen. Und so weiter.

Sehen wir uns jetzt an, welche Prozesse die Verfassung vorsieht und welche davon über das öffentliche Register abgewickelt werden. Hier eine Skizze vom Aufbau des Staates in meinem Konzept:

Image40

Vereinfachtes Modell des Staatsaufbaus. Enthält einen Exekutivrat als Beispiel, aber keine anderen Räte oder gesetzgebenden Körperschaften.

Der obere Teil des Bildes enthält die staatlichen Veröffentlichungen im Register: Verordnungen, Gesetzestexte, sowie von den Verfassungsrichtern veröffentlichte Gesetzesübersichten und Urteile. Verordnungen werden von Räten erlassen (im Bild ist nur ein Exekutivrat als Beispiel angegeben), gesetzgebende Körperschaften erlassen Gesetze (im Bild ist nur die Zentralgesetzgebung gezeigt), und das Verfassungsgericht veröffentlicht Zentralgesetzkanon und Urteile. In jedem dieser Fälle geschieht dies in Form von Abstimmungen über im Register veröffentlichte Dokumente.
Der untere Teil des Bildes enthält die Körperschaften, welche Exekutive, Legislative und Judikative ausmachen. Hierbei werden die Gemeinschaften und ihre Mitglieder, die Mitglieder der Räte und Richter des Verfassungsgerichts, sowie die Wichtungen von Räten und gesetzgebenden Gemeinschaften vom Register verwaltet.

Im Mittelpunkt des Zentralstaates steht die Legislative, bestehend aus den Gemeinschaften. Sie wählt die Verfassungsrichter (Judikative), und die einzelnen Gemeinschaften entsenden Mitglieder in die Räte (Exekutive). Die Wahl der Verfassungsrichter erfolgt über eine Personenwahl im Register, die Entsendung der Ratsmitglieder über Daten, welche die Gemeinschaften in ihren Accounts veröffentlichen.

Die Legislative gibt der Exekutive und Judikative ihr Budget. Über Gesetze bestimmt sie, wie die Exekutive geformt sein soll und welche Rechte sie an diese abtritt. Gleiches gilt für untergeordnete gesetzgebende Körperschaften. All dies erfolgt in Form von Abstimmungen der Gemeinschaften über im Register veröffentlichte Dokumente.

Die Exekutive wird vollständig durch Gesetze definiert und ist somit stets der Kontrolle durch die Legislative (die Summe der Gemeinschaften) unterworfen, welche diese Gesetze jederzeit ändern kann.

Im Vergleich zur Exekutive ist die Judikative deutlich unabhängiger: Die Legislative kontrolliert sie durch die Bestimmung der Verfassungsrichter und die Budgetzuteilung. Aber im Gegenzug sind die Verfassungsrichter als Spitze der Judikative für den Aufbau der Gerichtsbarkeit verantwortlich. Natürlich sind die Verfassungsrichter keine Verwaltungsbeamten. Sie werden diese Aufgaben delegieren. Aber die letzte Verantwortung für das Funktionieren der Judikative liegt stets bei den Verfassungsrichtern selbst. Die Entscheidungen über den Aufbau der Judikative, und die Veröffentlichung dieses Aufbaus, erfolgt in Form von Abstimmungen der Verfassungsrichter über im Register veröffentlichte Dokumente.

Das Verfassungsgericht prüft, ob sich die Gemeinschaften im Rahmen der Verfassung bewegen und ob die von der Legislative veröffentlichten Gesetze verfassungskonform und widerspruchsfrei sind. Legislative und Judikative überwachen sich also gegenseitig. Die Judikative veröffentlicht die geltenden Zentralgesetze regelmäßig als Zentralgesetzkanon. Das und die Veröffentlichung der Verfassungsurteile erfolgt durch Veröffentlichungen von Dokumenten im Register.

Die Gerichte, welche die Judikative etabliert hat, werden den Zentralgesetzkanon nutzen, um ihre Entscheidungen zu treffen. Zusätzlich kann jedes Gericht auch die beschlossenen Gesetze an sich zu Rate ziehen. Beispielsweise falls diese von einer untergeordneten gesetzgebenden Körperschaft beschlossen, daher keine Zentralgesetze und nicht Teil des Zentralgesetzkanons sind.
Sind die Gemeinschaften mit Veröffentlichungen der Verfassungsrichter nicht einverstanden, dann hat die Zentralgesetzgebung anhand der Begründungen die Möglichkeit, Gesetze zu überarbeiten. Diese Feedbackschleife dient auch dazu, die Zentralgesetze so übersichtlich wie möglich zu halten.

Für folgende Bereiche ist der Zentralstaat in meinem Konzept selbst verantwortlich, darf sie also nicht an die Gemeinschaften delegieren:

• Zentralpolizei, damit Gesetze überall wirksam gelten, nicht nur da, wo eine Gemeinschaftspolizei es für gut hält, sie durchzusetzen.

• Außenpolitik und Militär, damit der Staat nach außen gegenüber anderen Ländern mit einer einheitlichen Stimme auftritt und keine einzelne Gemeinschaft außenpolitische Abenteuer lostreten kann.

• Grundbesitz, weil die Verpachtung darüber entscheidet, wo die Regeln welcher Gemeinschaft gelten.

• Bildung, damit alle Kinder im Leben möglichst gleiche Chancen bekommen, statt durch ihre Eltern in einer bestimmten Gemeinschaft gefangen zu sein, die sie mit nur ihren Ansichten indoktriniert.

Es gibt natürlich viele weitere Bereiche, in denen es sehr sinnvoll wäre, dass der Zentralstaat sie einheitlich für das ganze Land managt. Katastrophenschutz beispielsweise. Aber nichts davon ist so essentiell, dass es in der Verfassung niedergeschrieben werden müsste. Die soll so kurz und einfach wie möglich gehalten werden, solange es den Gesamtstaat nicht in seinem Potential einschränkt.

Die Verfassung definiert drei Kategorien von Staatsbürgern: Kinder, Erwachsene und Vollbürger. Wobei jeder Vollbürger ein Erwachsener ist, aber nicht jeder Erwachsener auch ein Vollbürger.
Die entscheidende Anforderung dafür, ein Vollbürger zu sein, ist, sämtliche verpflichtende Schulbildung abgeschlossen zu haben. Bürger, die 18 Jahre alt sind, denen dieses Schulzeugnis jedoch fehlt, sind zwar erwachsen, aber keine Vollbürger.

Bürger gelten also mit abgeschlossener verpflichtender Schulbildung als erwachsen, unabhängig von ihrem Alter. Als Vollbürger haben sie in der Verfassung mehr Rechte als einfach nur erwachsene Bürger (so zählen nur sie zum Stimmgewicht ihrer Gemeinschaften), und in den Gesetzen wird sich das fortsetzen.
Bildung ist in der Verfassung als ein Grundrecht definiert. Jeder Bürger kann sich also kostenlos weiterbilden, um so zum Vollbürger zu werden. In Anbetracht dessen halte ich diese Form von Bildungsdiskriminierung für legitim.
Gesetze sollten nicht auf ein starres Alter schauen, wenn sie entscheiden, wem sie bestimmte Rechte einräumen. Sondern darauf, ob die Person in der Lage ist, die Folgen ihrer Entscheidungen zu überblicken. Und das ist nicht vom Alter abhängig, sondern vom erworbenen Wissen.
Dieses nötige Wissen sollte dann auch nicht immer „alle verpflichtende Allgemeinbildung“ sein, sondern je nach Bedarf etwas anderes. Zum Beispiel ein Führerschein, Feuerwerksschein (berechtigt zum Zünden von Feuerwerk), Drogenseminar oder Elternkurs (in Anbetracht meines Bildungssystems sicherlich oft in Form von Modulen).