5. Wirtschaft

5.1 Bedingungsloses Grundeinkommen

Von der ersten Idee, mit der wir uns beschäftigen wollen, haben sicher viele Leser schon gehört. Das ist gut, so können wir unsere Reise auf bekanntem Terrain beginnen! Es geht um die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens.  Diese Idee wird seit etwa 1920 ernsthaft verfochten und auch heute noch rege diskutiert.[23]

Vor allem die lange Liste der geplanten, aber nicht richtig durchgeführten Pilotprojekte und Feldstudien zeigt sehr gut, wie schwer es ist, eine grundlegend neue Idee einzuführen, wenn die Gesellschaft als Ganzes nicht von ihr überzeugt ist.

Wie bereits gesagt, werden wir uns erst im letzten Kapitel damit beschäftigen, wie wir genug Menschen davon überzeugen könnten, eine der Ideen dieses Buches umzusetzen. Bis dahin können wir einfach davon ausgehen, die Menschen wären von der Idee bereits überzeugt, und uns die Folgen ansehen!

Aber klären wir doch zuerst einmal, was ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE*) ist und wie es funktionieren soll. Ein BGE wird an alle Bürger des Staates ausgezahlt, ohne dass irgendeine Prüfung auf Bedürftigkeit erfolgt. Im Gegenzug werden alle staatlichen Unterstützungsleistungen abgeschafft, die betragsmäßig aus dem BGE beglichen werden können. Die Finanzierung erfolgt im gängigsten Modell über die Einkommenssteuer. Die Einkommenssteuer ist nicht mehr progressiv wie jetzt (mit höherem Einkommen steigt der Steuersatz), sondern vom ersten Euro an ein hoher, dafür aber konstanter Prozentsatz. Durch die Verrechnung mit dem BGE kann sich dadurch eine „Negative Einkommenssteuer“ ergeben. Der Staat überweist einem Bürger mit geringem Einkommen also Geld.

Rechnen wir das Ganze für verschiedene Beispieleinkommen durch.

Wir nehmen ein BGE von 800€ an, sowie einen konstanten Einkommenssteuersatz von 40%. Diese Werte sind gewählt, um einfach rechnen zu können. Warum ich etwas in dieser Größenordnung gewählt habe, darüber reden wir gleich im Anschluss. Alle Sozialabgaben, die gegen Einkommensausfall absichern sollen, sind mit dem BGE überflüssig. Abgesehen von Kranken- und Pflegeversicherung ist das mit der Einkommenssteuer und dem BGE verrechnete Gehalt also tatsächlich das, was auf dem Konto des Bürgers landet (Nettoeinkommen).

Allgemeine Rechnung: Bruttoeinkommen x 0,6 (das zieht die 40% Einkommenssteuer ab) + 800€ (Höhe des BGE) => Nettoeinkommen

      0€ x  0,6 + 800€ =>    800€
 500€ x  0,6 + 800€ => 1 100€
1 000€ x 0,6 + 800€ => 1 400€
2 000€ x 0,6 + 800€ => 2 000€ (Break-even: Einkommenssteuer = BGE)
3 000€ x 0,6 + 800€ => 2 600€
6 000€ x 0,6 + 800€ => 4 400€

Image9

[23] CC BY-SA 4.0 Lizenz, Farbänderungen
Hellgraue      Linie: Nettoeinkommen ohne Umverteilung
Dunkelgraue Linie: Nettoeinkommen mit Lohnsteuer und BGE

Man kann mit der Höhe der Einkommenssteuer und der Höhe des BGE spielen, um hier verschiedene Verläufe zu bekommen. Je höher das BGE, umso höher muss auch der Einkommenssteuersatz sein, damit die Finanzierung aufgeht.

In Anbetracht dessen, dass sich der Großteil der Kritik am BGE an der Motivation entzündet, dass Menschen trotz dieses Einkommens noch arbeiten gehen, würde ich ein BGE anstreben, das gerade so zum Leben reicht. Genug, dass man sich davon Essen kaufen kann, ein Dach über dem Kopf hat, und sei es nur ein Zimmer, etwas Kleidung. Aber nicht genug, um davon bequem zu leben und am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Vom BGE muss am Ende des Tages ja auch niemand eine Familie ernähren - der Partner und jedes Kind bekommen ihr eigenes Geld. Und wenn mehrere Personen zusammenleben, sind Dinge wie Mietkosten je Person, aber auch Lebensmittel, günstiger realisierbar.

Da es beim BGE keinerlei Bedürftigkeitsprüfung (oder sonst irgendeine Prüfung) gibt, muss das auch nicht die einzige Einkommensquelle sein. Im Gegenteil: Jeder kleine Zuverdienst hilft. Und niemand stört sich daran, wenn man noch Geld hat, das gut angelegt ist und etwas Kapitalrendite beisteuert. Wenn man von Familienangehörigen unterstützt wird. Oder wenn man Wege findet, seine Ausgaben zu senken. Auf der einen Seite wird also eine unglaublich große, teure und oft ungerechte Kontrollbürokratie eingespart. Auf der anderen Seite ist die Motivation, selbst aktiv zu werden und die eigene finanzielle Situation zu verbessern, stärker vorhanden als es irgendwelche Strafmaßnahmen von Seiten des Arbeitsamtes je erreichen könnten.

Falls das ganze Schema gut funktioniert, genug Menschen trotzdem arbeiten und die Staatsfinanzen stimmen, dann kann man das Ganze vorsichtig in eine humanere Richtung justieren: Das BGE und den Lohnsteuersatz etwas anheben, dann abwarten, ob alles weiter gut funktioniert. Auf diesem Weg kommt man vielleicht am Ende sogar auf ein BGE, das hoch genug für soziale Teilhabe ist, statt nur für das Überleben.

Auch mit zunehmender Automatisierung durch KIs und Roboter, und einer sich immer weiter öffnenden Einkommensschere zwischen denen, die gut bezahlte Arbeit haben, und allen anderen (wenn der Median* der Einkommen sinkt, obwohl das Durchschnittseinkommen steigt), kann dieses System sehr gut umgehen. Von den hohen Einkommen weniger und aus Firmengewinnen finanziert, eröffnet es dann allen anderen die Möglichkeit, sich eine Beschäftigung zu suchen, die sie erfüllt, selbst wenn sie nur sehr wenig oder gar nicht bezahlt wird.

Kurz: Das System ist simpel, flexibel und robust. Und wie jedes System, das sich selbst reguliert, wird es in der Praxis weit besser funktionieren als ein immer komplexeres Ungetüm, dass man mit immer mehr Regelwerk zu korrigieren versucht (wie unser aktuelles Sozialsystem in Deutschland).

Noch ein paar Worte zum BGE für Kinder: Ich würde das BGE generell altersunabhängig auszahlen. Falls sich das als schlechte Idee erweist, weil das BGE viel höher ist als das Kindergeld und somit ein zu starker Anreiz für Familien mit vielen Kindern entsteht, dann kann der Staat mit der Höhe der staatlichen Förderung für Kitas und Schulen gegensteuern (das heißt: Kinder bekommen zwar das volle BGE, aber die Eltern müssen einen Teil davon für Kita-Kosten oder als Schulgeld wieder ausgeben, wobei der Besuch von Kita oder Schule verpflichtend ist). So bekommt man die ganze Rechnung sauber, ohne beim BGE Altersgrenzen festlegen zu müssen.

Wir werden uns die Finanzierungsbilanz des BGE im Umsetzungsbeispiel Kapitel 13.3 „BGE, Kulturpunkte und das Bildungswesen“ genauer ansehen.

 

Anforderungsabgleich

Im Kapitel 4.2 „Anforderungen an Zukunftsvisionen“ habe ich eine Übersicht der Anforderungen erarbeitet, denen die Zukunftsvisionen dieses Buches genügen müssen.

Ich möchte die Vorstellung jeder Zukunftsvision daher mit einer Tabelle abschließen, in welcher ich sie mit diesen Anforderungen abgleiche. Als Plausibilitätsprüfung, ob wir uns die Zukunftsvisionen tatsächlich aus allen relevanten Richtungen angesehen haben.

Hier also die die erste dieser Tabellen, der Anforderungsabgleich der Zukunftsvision „Bedingungsloses Grundeinkommen“:

Anforderung

Merkmale der Zukunftsvision

geringe Ansprüche an Charakter der Menschen

• BGE nur hoch genug, um Grundbedürfnisse zu decken

keine Weltregierung

unproblematisch (Sozialleistungen nur für Staatsbürger)

Kosten betrachtet

• über Einkommenssteuer verrechnet

• geringe Höhe des BGE

• ersetzt bestehende Sozialleistungen

• genauere Betrachtung in Kapitel 13.3

automatische Anpassung an sich verändernde Welt

• flexibler als das bestehende Sozialsystem

• Kann gut damit umgehen, falls uns als Gesellschaft die Arbeit ausgeht

Hilfe für Bürger, mit Veränderungen mitzuhalten

• leichter verständlich als bestehendes Sozialsystem

• Bedingungslose Unterstützung

technologische Entwicklung fördern

• Bürger sind eher bereit, Risiken einzugehen

Robustheit, um Widrigkeiten zu trotzen

• aktivere Bürger können besser mit Widrigkeiten umgehen