6. Gesundheitswesen

6.4 Auslastung der Ärzte

Da die Ärzte nach der Qualität ihrer Arbeit bezahlt werden, lohnt es sich für sie nicht, unnötige Behandlungen durchzuführen. Denn darunter würde sowohl die Patientenzufriedenheit als auch ihre Kompetenzbewertung leiden. Falls der Staat feststellt, dass jede zweite Behandlung eines Arztes unnötig war, dann sind seine Aufwandspunkte nur noch die Hälfte wert.39

Falls ein Arzt voll ausgelastet ist, und einen Teil seiner Patienten daher ablehnen muss, dann lohnt es sich für ihn, effizienter zu arbeiten und einen größeren Teil des Arbeitsaufwands auf Krankenpfleger zu verlagern. Solange Kompetenz und Patientenzufriedenheit darunter nicht zu sehr leiden, wird er dafür besser bezahlt werden (da er mehr Aufwandspunkte sammelt). Das ist auch richtig und wichtig so, schließlich sollen möglichst alle Patienten behandelt werden, ohne lange auf einen Termin warten zu müssen.

Ist der Arzt dagegen nicht voll ausgelastet (was der Normalfall sein sollte), dann kann er sich für jeden Patienten etwas mehr Zeit nehmen. Es kostet ihn keine Einnahmen durch entgangene Aufwandspunkte (es wartet ja niemand), und die zusätzliche Zeit sollte die Patientenzufriedenheit und die Kompetenzbewertung verbessern (solange er keine unnötigen Behandlungen durchführt). Was dann wiederum ein besseres Einkommen für den Arzt bedeutet.

Damit die Ärzte im Schnitt nicht voll ausgelastet sind und das ganze System so funktioniert wie es soll, wird eine durchschnittliche Auslastung der Ärzte von 80% angestrebt. Die Zielzahl der Ärzte haben wir festgelegt (ein Arzt je 100 Einwohner), und sie lässt sich kurzfristig auch nicht ändern. Stattdessen wird es einen Leistungskatalog geben, welche Behandlungen vom staatlichen Gesundheitssystem bezahlt werden und welche nicht. Dieser Katalog ist für jede Fachrichtung nach Effizienz sortiert (Wie viel zusätzliche Lebensqualität für wie lange ermöglicht diese Behandlung im Schnitt, im Verhältnis zu ihren Kosten?). Liegt die Auslastung einer Fachrichtung bei über 80%, fallen ihre ineffizientesten Behandlungen aus dem Katalog heraus. Liegt die Auslastung bei unter 80%, so werden die nächst effizientesten Behandlungen neu aufgenommen. Aus dem Vergleich der Effizienz der gerade noch/gerade nicht mehr bezahlten Behandlungen der Fachrichtungen kann der Staat den Ärztebedarf ermitteln: Wenn Allgemeinmediziner nützliche Behandlungen unterlassen müssen, weil Ärzte fehlen, während Zahnärzte auch noch Goldbeschichtungen vornehmen, weil sie so viel Zeit haben - dann brauchen wir mehr Allgemeinmediziner und weniger Zahnärzte. Da der Staat die Ärzte anstellt und bezahlt, hat er hier alle Lenkungsmöglichkeiten offen.

Die Begrenzung der Auslastung auf 80% in normalen Zeiten sorgt für Wettbewerb im System (Patienten können einen guten Arzt auswählen und bekommen da auch einen Termin) und ist für ein gutes Funktionieren notwendig. Was für den Staat ebenfalls sehr wünschenswert ist: Es bedeutet, dass noch eine Reserve da ist! Beträgt die Belastung der Mitarbeiter in normalen Zeiten nur 80%, dann können sie in einer Krisensituation, wie einer starken Grippewelle, einer Coronapandemie, einer Naturkatastrophe oder einem Krieg, über 100% hinausgehen, ohne dass gleich die Gefahr eines Burnouts besteht. Läuft das System dagegen immer am Anschlag, wie es für große Teile des deutschen Gesundheitssystems aktuell der Fall ist, dann ist diese Reserve eben nicht vorhanden, und das System kann mit Krisensituationen viel schlechter umgehen.

Der hier vorgestellte Systementwurf dagegen hält sich daran, was ich zum Ende des 3. Kapitels festgehalten habe: Zukunftsvisionen sollten widerstandsfähig sein.

Falls Patienten eine Behandlung haben wollen, die nicht von diesem Leistungskatalog abgedeckt ist, dann ist das möglich. Entweder indem sie die Behandlung selbst bezahlen, oder indem eine private Zusatzversicherung diese Kosten trägt. Sie können sich dafür entweder an eine private Klinik wenden, die gar nichts mit dem staatlichen Gesundheitssystem zu tun hat, oder ein staatlich bezahlter Arzt kann sie vornehmen. Diese Behandlungen werden schlechter bezahlt (Wichtigkeit < 1), so dass sich der Aufwand für den Arzt weniger lohnt als Behandlungen aus dem staatlich bezahlten Leistungskatalog (eine Umkehrung des aktuellen Zustands, wo Privatpatienten bevorzugt behandelt werden). Die Bezahlung für diese Behandlung geht an den Staat und liegt deutlich höher als das Geld, das der Arzt erhält (Hier muss Schwarzarbeit und Bestechung verhindert werden!). Von diesem Geld bezahlt der Staat zusätzliche Ärzte, um den Zeitaufwand auszugleichen, den diese privat finanzierten Behandlungen verursachen.

Ein kurzes Wort zu den vom Staat bezahlten Medikamenten: Nur Medikamente, die das staatliche Zulassungsverfahren durchlaufen haben (siehe 5.2 „Patentwesen“), und so ihre Wirksamkeit belegt haben, werden von der staatlichen Krankenkasse bezahlt. Ähnlich wie ärztliche Leistungen, sind auch die Medikamente nach Effizienz sortiert. Steigen die Gesamtausgaben für Medikamente auf einen zu hohen Wert, so wird der Staat die ineffizientesten Medikamente nicht mehr bezahlen. Hier ist es dann wieder Sache der Bürger, ob sie die Medikamente selbst bezahlen, über eine Zusatzversicherung abdecken können oder auf sie verzichten müssen.

Hier hilft die in 5.2 beschriebene Abschaffung des Patentwesens enorm, da sie die Herstellung von Generika erleichtert. Generika sind viel günstiger als die ursprünglichen Markenmedikamente. Und günstigere Medikamente bedeuten, dass sich deutlich mehr Medikamente auf der staatlich bezahlten Liste befinden.

Auch das ist wieder ein Beispiel für die angekündigten schweren Ethikentscheidungen. Es ist nicht genug Geld für alles da. Alles, was der Staat tun kann, ist möglichst objektiv zu entscheiden, wie er die begrenzten Geldmittel am effizientesten einsetzt.

 

Die Terminvergabe der Ärzte wird über die Gesundheitsapp organisiert.

Jeder Arzt gibt an, wie viele Stunden er in der Woche maximal mit Patiententerminen füllen will. Er gibt seine Arbeits- und Urlaubstage an. Für Arbeitstage wählt er passende Terminblöcke aus (er kann auch eine Präferenz angeben, so dass sich andere Termine erst füllen, wenn die bevorzugten Terminblöcke voll sind). Die Gesundheitsapp reserviert dann automatisch Zeitblöcke für Patienten, die einen Arzt suchen. Der überweisende Arzt oder der Patient selbst wählt die Kategorie für den Grund des Arztbesuches aus.40 Der Arzt legt für jede dieser Kategorien fest, wie viel Zeit das System reservieren soll.

Für den Staat sind all diese Termindaten unglaublich nützlich, um Probleme im System (wie punktuelle Überlastung) frühzeitig zu bemerken. Für Patienten ist es sehr bequem, Arzttermine flexibel und ohne Wartezeiten über die Gesundheitsapp organisieren zu können.

Jeder Arzt ist verpflichtet, am Ende seines Arbeitstages eine gewisse Zeit als offene Sprechstunde anzubieten. Zeit, in der er für Patienten zur Verfügung steht, aber für die er keine Termine vergibt. Kommt kein Patient, kann er die Zeit für Büroarbeiten nutzen. Bei allgemeinen Ärzten ist dies für akute Probleme von Patienten gedacht, um so die Notfallaufnahmen der Krankenhäuser zu entlasten. Bei den Fachärzten in den Polikliniken ermöglicht es Folgeuntersuchungen oder Behandlungen direkt am Tag des jährlichen Check-ups oder als Folge eines Termins bei einem anderen Facharzt.

Die aktuelle Auslastung der Ärzte einfach als Anteil der vergebenen Termine zu ermitteln, ist nicht gut genug – wir brauchen dafür eine Computersimulation des Gesundheitssystems.41
Das ist zwar erst einmal viel Arbeit, erlaubt uns dafür aber, viele Stellschrauben des Gesamtsystems zu testen (Gehaltsformel, Zielauslastung, Nachfrage der Fachbereiche, ...). Jede Hilfe beim richtigen Justieren, die wir der Simulation entlocken können, jeder Hinweis auf ein sich anbahnendes Problem, ist extrem hilfreich.

Neben der Festlegung des Behandlungskatalogs und der Bezahlung der Fachbereiche haben die so ermittelten Auslastungswerte einen weiteren wichtigen Anwendungsbereich: Der Staat entscheidet anhand ihrer, wo er die verfügbaren Ärzte einsetzt. Als Verwaltungseinheit dafür bieten sich die Kreise an: Ihre Einwohnerzahlen liegen in Deutschland in der Größenordnung von 100 000. Mit einem Arzt je 100 Bürgern befinden sich in einem Kreis also größenordnungsmäßig 1 000 Ärzte.
Welche Kreise dürfen Ärzten welcher Fachrichtungen eine Stelle anbieten? Das Gehalt der Ärzte bezahlt schließlich der Staat.

Auf der einen Seite wollen wir den Ärzten eine Wahlfreiheit lassen. Es klingt nicht fair, wenn der Staat als Monopolist Ärzte im ganzen Land an einen beliebigen Ort beordern darf. Auf der anderen Seite können wir sie nicht frei wählen lassen: Dann gibt es in der Hauptstadt viel zu viele Ärzte und draußen auf dem Land viel zu wenige.

Man könnte sich hier viele Regelungen ausdenken. Ich schlage folgende einfache Logik vor: Für jede Fachrichtung dürfen nur die Kreise Ärzte anwerben, die aktuell eine überdurchschnittlich hohe Auslastung ihrer Ärzte dieser Fachrichtung haben (das sollte für jede Fachrichtung etwa die Hälfte aller Kreise sein). Jeder Kreis darf so viele Ärzte anwerben, dass die Auslastung durch die zusätzlichen Kapazitäten den Durchschnitt erreicht (wodurch andere Kreise unter den Durchschnitt sinken und neue Ärzte anwerben dürfen).

Die Entscheidung, ob und wo im Kreis Ärzte arbeiten können, treffen der Kreis und die Leiter der Polikliniken (welche ebenfalls vom Kreis ausgewählt wurden). Wenn ein Kreis also keine oder keine attraktiven Arbeitsmöglichkeiten für Ärzte anbietet: Das ist etwas, das die Wähler beeinflussen können, indem sie kompetentere Politiker in ihrem Kreis wählen!42